Philharmonischer Chor Kiel

Antonín Reichas Requiem als Deutsche Erstaufführung in Kiel

Kieler Nachrichten, 27.05.2011

Von Christian Strehk

Kiel. Ferntrompeten, rauschend verdichtete Fugen, wirkungsmächtige Kontraste und ein alles überstrahlender Solo-Sopran – die vereinigten Kieler Philharmonischen Kräfte versuchten am Mittwoch im Mozart-Konzert der Musikfreunde Kiel vieles, um die mutmaßliche Deutsche Erstaufführung von Antonín Reichas Requiem zum Erfolg zu führen.

Und tatsächlich: Das spürbare Engagement des Theaterchordirektors David Maiwald trug die Anfang des 19. Jahrhunderts komponierte Missa pro defunctis des böhmischen Beethoven-Freundes (1770-1836) über eine trockene Musikgeschichtslehrstunde und die Eindrücke von der Prager CD-Einspielung (1988) weit hinaus. Denn der Dirigent mit französischen Wurzeln besetzte die Philharmoniker zwar mit klangverschlankenden Instrumenten der Wiener Klassiker-Epoche, glaubt aber schon fest an den neuartigen, frühromantisch auf Atmosphärisches zielenden Duktus der Partitur. Und so kam man gar nicht umhin, in manch eigenwilliger Wendung und Satzidee, in den chromatischen Verkrümmungen des Lacrimosa, im Farbflimmern des Lux aeterna etwa oder in vielen „weiträumig“ ausladenden Effekten mit Reicha den später so prägenden Pariser Lehrer von Berlioz, Liszt, Gounod oder César Franck herauszuhören.

Entsprechend artikulierten die Philharmoniker (...) konsequent eher satt und breit als asketisch klassisch pointiert. Und das gut gewählte Solistenquartett mit dem Tenor Chien-Chi Lin, dem Bass Kyung-Sik Woo, der Altistin Ines Schumacher schwelgte in schönen Gesangslinien – allen voran die Sopranistin Hanna Zumsande: Zauberhaft leuchtend, mühelos in der Höhe und klanglich perfekt fokussiert gelang ihr etwa das anspruchsvolle Jubilieren in der hitverdächtigen Benedictus-Arie.

Hauptakteur war aber der Philharmonische Chor, der mit abgerundet vollem Sound aufwartete, nur partiell mit den harmonischen Absonderlichkeiten zu kämpfen hatte und sich das Werk in strömendem Legato eroberte. Das leichte Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männerstimmen glichen vor allem die beherzt einsteigenden („quam olim Abrahae“ im Domine Jesu!) und homogen klingenden Tenöre aus.

Als auch die heikle „cum sanctis“-Fuge bewältigt war, effektvoll gesteigert durch das Hinzutreten der Solisten, und Antonín Reicha seine erstaunliche Adagio-Schlusspointe – die innige Anrufung der Milde Gottes – gesetzt hatte, waren viel Beifall und Bravi in der gut besuchten Petrus-Kirche das richtige Echo.

Zuletzt geändert am 28.05.2011