Kieler Nachrichten, 18.06.2014
Irdische Liebesliederei und göttliche Momente
Der Philharmonische Chor Kiel unter Lam Tran Dinh mit Rossinis „Petite Messe Solennelle“
Von Christian Strehk
Kiel. Hier steckt wirklich alles drin. Gioacchino Rossini hat als längst pensionierter Großmeister der italienischen Opernkomik und Ex-Pionier der französischen Grand Opéra in seine „arme kleine Messe“ 1863 noch einmal alles hineinkomponiert, was Herz und Können hergaben. Von Witz durchblitzt und zugleich von Depressionen gepeinigt, bringt der Wahlpariser Gourmet den Belcanto-Schlager ebenso mühelos mit dem Ordinarium Missae in Einklang wie den strengen Palestrina-Satz, das sehnsüchtig innige Gebet genauso wie den klangbrausenden Fugen-Sturm.
Richtig gute Aufführungen lassen den Hörer somit in begeisterter Irritation zurück: Mit Rossini und seiner köstlichen Widmung an den lieben Gott teilt man unweigerlich die Unsicherheit, ob man nun mit Lust „heilige“ oder „verfluchte“ Musik gehört hat. Und genau das war am Montag in der – trotz schwarz-rot-goldenem Fußball-Delirium – gut besuchten Nikolaikirche der Fall. Der Philharmonische Chor Kiel traf als Vertretung der vorgesehenen acht singenden „Cherubim“ den ebenso sakralen wie ironischen Doppelnerv des Werks. Besonders die Frauenstimmen tönten gut durchgebildet, streichelten biegsam die Melodiezonen, umschifften nahezu alle der eingebauten Intonationsklippen. Der Chor zeigte vielleicht nicht Rossinis utopisches „pppp“, aber doch ein warm getöntes Pianissimo und ließ sich nie zu Hetze oder Notgebrüll verleiten.
Der stilsicher genüsslich mit der Musik atmende Dirigent Lam Tran Dinh, der auch in der kommenden Saison im Kieler Opernhaus für Chorarbeit zuständig sein wird, setzte zu Recht auf die eigenwillige Urfassung mit Klavier, auf dem die absolut souveräne Pianistin Suneyo Kim mit großem Einfühlungsvermögen und perfektem Timing ein Orchester völlig überflüssig machte. Das originale, für heutige Ohren skurrile Harmonium ersetzte, ja überhöhte Alexander Wernet mit seinen stimmungsvollen Akkordeon-Seufzern.
Die vier Solo-Cherubim waren adäquat opernnah besetzt. Die Sopranistin Susan Gouthro und der Tenor Yoonki Baek suggerierten, dass irdische Liebesliederei einiges mit der göttlichen gemein hat. Der junge Bass Salomon Zulic del Canto punktete mit Kern, auch wenn er noch nicht überall zu ungebrochenem Legato fand.
Besonders eindrucksvoll aber sang Juliane Harberg. Ihr dunkelrot glühender Alt ging, im Agnus Dei unter die Haut: Dona nobis pacem! Kein Amen, aber Ovationen.