Kieler Nachrichten, 13.11.2017
Musikalisches Gedenken an die Revolution
Chorlieder zwischen Aufbruch und Abgesang
VON JÖRG MEYER
KIEL. „Der Sieg der Revolution ist unbestreitbar“, meldete die Schleswig-Holsteinische Volkszeitung am 17. März 1917. Gemeint war damit die Februarrevolution in Russland, die den Zaren stürzte, der Vorabend der Oktoberrevolution, deren 100. Jahrestag der Philharmonische Chor unter Leitung von Lam Tran Dinh mit den Poemen nach Worten revolutionärer Dichter, op 88 von Dimitrij Schostakowitsch im bis auf den letzten Platz besetzten Carl-Legien-Saal des Gewerkschaftshauses gedachte.
Eingeleitet wird damit auch das Gedenken an die revolutionären Ereignisse in Kiel im November 1918. Und so gehen die verschiedenen Revolutionen auch etwas durcheinander, zumal sich die von Schostakowitsch vertonten Gedichte eher auf die (gescheiterte) russische Revolution 1905 beziehen. Erhellung schaffen da die von Agnes Richter gelesenen Texte des Zeitzeugen Nikolaj Suchanow und aus der Volkszeitung.
Die Chorlieder interpretiert der Philharmonische Chor einleuchtend im Spannungsfeld zwischen forsch aufmarschierendem Aufbruch und der zuweilen wie ein Abgesang anmutenden Trauer um die gefallenen Genossen. Das ist ganz im Sinne des Komponisten, der das Werk 1951 nicht ohne Bitterkeit komponierte. Manchem erscheint das – zumal am Ort, wo vor 99 Jahren der Arbeiter- und Soldatenrat tagte – „zu wenig kämpferisch“, wirft aber ein differenziertes Licht auf die Revolutionen. Letztlich sind sie zwar alle gescheitert, denn die Forderung nach „Frieden und Brot“ ist auch heute immer noch nicht eingelöst, wie der DGB-Regionsgeschäftsführer Frank Hornschu eingangs mahnt. Aber ihr Geist, sich aufzulehnen gegen Krieg und Ungerechtigkeit, wie er in Schostakowitschs Liedern noch schlummert, entzündet im Zuhörer dennoch eine kleine Fackel – am Vorabend vielleicht noch kommender Revolutionen.