Kieler Nachrichten, 04.11.2024
VON CHRISTIAN STREHK
KIEL. Schön norddeutsch: Der dröge Beifall zur Begrüßung war noch eine sanfte Brise, steigerte sich aber am Schluss zum Orkan begeisterter Zustimmung. Gabriel Feltz hat sein erstes, in der Programmwahl eher außergewöhnliches Konzert mit den Kieler Philharmonikern als neuer Generalmusikdirektor an der Förde bestritten. In der Wunderino Arena zog er dabei alle Register – vom hauchfeinen Säuseln bis zum großen Kollektivbrausen.
Maurice Ravels „Daphnis et Chloé“ ist ein Zaubergarten der Klangschattierungen. In Gänze ist die hocherotische Ballettmusik über eine der ersten Liebesepen der Literaturgeschichte selten zu hören. Und auch die Philharmoniker steigerten sich vor allem in den bekannten Dritten Teil hinein. Das berühmte impressionistische Hörbild eines Tagesanbruchs, die „Pantomime“ im Reigen der Nymphen und die finale Ekstase des „Danse générale“: Alles gelang hier aus einer elektrisierenden Spannungsträgheit heraus bis zum entladenden Freudentaumel ganz hervorragend.
Feltz bestätigte in XXL-Besetzung des Orchesters seine Qualitäten als Klangregisseur, der – falls nötig – eckig überdeutlich Zeichen setzt, um Sicherheit im rhythmischen und harmonischen Gewirr zu verleihen; der fördert und fordert; der mal grimmig, mal selig Musik als Lust suggeriert. Der neue GMD konnte auf starke Soli zählen – exemplarisch gefeiert seien hier die berühmt-berüchtigten der Flöte (Simone Kaskel) und des Horns (Alison Balls).
Und auch wenn es gerade in solchem Repertoire unüberhörbar immer schwierig ist, Profis (Opernchor) mit Hobbykönnern (Philharmonischer Chor) homogen abzumischen, gab es schöne Stellen, einstudiert von Gerald Krammer, in den geheimnisvoll raunenden Vokalisen des Chores. Theaternahe Coups lieferten auch der stimmungsvolle Lichtwechsel oder die mutig im Raum verteilten Fern-Soli.
Für ein Antrittskonzert gab es ungewöhnlich viel akustische Opiate anstelle von bodenständigen sinfonischen Highlights der Musikhistorie. Feltz, der wegen seiner fortlaufenden Verpflichtungen als GMD in Dortmund in dieser Saison neben dem „Rosenkavalier“ und der Sommeroper „La Traviata“ eher nur im Kieler Konzertwesen Zeichen setzen kann, wird mit großen Kalibern der Spätromantik à la Mahler und Bruckner ja noch zu erleben sein.
Zunächst setzte er auf Neutöniges, konnte aber zum Elemente-Motto „Luft“ dennoch eine gut besuchte Wunderino Arena verzeichnen. Kaija Saariahos Flötenkonzert „Aile du songe“ mag mit seinem Geflimmer und Gezwitscher auf Dauer etwas gleichförmig wirken. Aber dafür faszinierte es, was der akustisch geschickt vor dem Dirigenten platzierte Solist ohne Konkurrenz anderer Bläser inmitten von Schlagwerk, Celesta, Harfe und Streichern Zirkusreifes auf seinem Instrument zu realisieren hatte. Henrik Wiese, der seine brillante Karriere vor drei Jahrzehnten in der SHMF-Orchesterakademie auf Salzau begann, jonglierte hoch virtuos zwischen allerlei Spieltechniken und partiturtreu dazwischen gespuckten Wortfetzen.
Ein sinfonisches Juwel hatte der Dirigent an den Anfang gesetzt: Sofia Gubaidulina, tatarische Grande Dame der Komponistinnenzunft mit Wohnsitz im schleswig-holsteinischen Appen, war 1971 mit ihrem „Fairytale Poem“ über ein tschechisches Märchen tatsächlich ein kompaktes Meisterwerk gelungen. Unter der punktgenau technisch und emotional steuernden Leitung von Gabriel Feltz gelang eine berührende Interpretation über ein Stück Kreide, das glückstrunken als Kunstwerkzeug diente. Dies passte perfekt.