Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 28.11.2018

Harmonische Konfrontation auf Augenhöhe

Der Philharmonische Chor mit seinem Programm „Aufstand!“ in der neuen Salzhalle

VON THOMAS RICHTER

KIEL. Näher können sich Chor und Zuhörer kaum kommen. Bei seinem eindrucksvollen Konzert Aufstand!, das der Philharmonische Chor im Rahmen der Reihe „100 Jahre Novemberrevolution“ in der sehr gut gefüllten neuen Salzhalle ablieferte, war der Name Programm. Denn Publikum und Sänger standen sich über weite Strecken direkt gegen­über. Ein im historischen Kontext des Abends starkes Bild. Natürlich zeigte das Konzert, dass eine direkte „Konfrontation“ auf Augenhöhe ausgesprochen harmonisch verlaufen kann.

Satt gewürzt wurde das Programm mit Elementen des Agitprop, jener von Lenin einst für die kommunistische Werbung eingeforderte Verbindung von Kultur- und Parteiarbeit. Ein politisch-ästhetisches Prinzip, das auch die Weimarer Republik erreichte, und letztendlich sogar in der Popkultur zu finden war, wann immer es nach Aufstand roch. So wurden bei diesem außergewöhnlichen Konzert zwischen und während der Werke Videoprojektionen von Dokumentationen, Plakaten, Texten, Fotos und Animationen eingespielt (Frank Schee­we). Hinzu kamen Tondokumente in Form von Zeitzeugenaussagen oder Redeausschnitten.

Dennoch behielt der Abend eine klare Struktur, wirkte zu keiner Zeit überfrachtet. Zunächst ging der Blick weit über den Tellerrand der 1918er Revolution hinaus. Nach dem unterhaltsamen Konzert-Auftakt Do You Hear The People sing? von Claude-Michel Schönberg aus dem Musical Les Misérables gab's zu rockigen Klängen vom Band Clips mit politisch motivierten Krawallen aus aller Welt zu sehen. Wuchtige Bilder von Wasserwerfern, Rauch, vermummten Demonstranten oder knüppelnden Polizisten.

Dann mischte sich der Chor unters gebannte Volk. Nur erhellt von den Klemmleuchten an den Noten interpretierte der Klangkörper in geradezu kontrapunktischer Schönheit zum eben Gesehenen Dmitri Schostakowitschs Smelej Drusja aus den Zehn Poemen nach Revolu­tionsgedichten für gemischten Chor a cappella, op. 88. Im Folgenden wechselten sowohl der Chor als auch sein Leiter Lam Tran Dinh mehrmals die Position, bespielten gewissermaßen die gesamte Halle, und erzeugten so verschiedenartige Klangbilder. Es folgten unter anderem Max Regers traumschönes Nachtlied und Herbert Howells nicht minder bestrickendes Requiem. Wobei der Philharmonische Chor ein ums andere Mal bewies, auf welch hohem Niveau er konzertiert.

Dann beendeten der „Revolutions-Hit“ Brüder, zur Sonne, zur Freiheit und Hanns Eislers Vertonung des Bertold Brecht Gedichts Resolution der Kommunarden nach etwa einer Stunde den Abend. Auf dem Prospekt prangten dazu die Brecht-Zeilen: „In Erwägung, dass ihr uns dann eben mit Gewehren und Kanonen droht / haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod.“ Das wirkt.

Aufstand!

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