Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 19.11.2018

Mahlers „Dritte“: Bezwingend gestaltet

VON MICHAEL STRUCK

KIEL. Mit „allen Mitteln“ kompositorischer „Technik“ wollte Gustav Mahler mit seiner 3. Symphonie „eine Welt aufbauen“. Das ist natür­lich etwas völlig anderes, als die reale Welt musikalisch abzukompo­nieren. Wohl aber enthält die „Dritte“ alles, was die Musik zu Mahlers Zeit parat hatte – vom Trivialen übers Volkstümliche bis zum spät­romantischen Fundus und zum Innovativen, vom Riesen­orchester über Frauen- und Kinderchor bis zum urmütterlichen Altsolo. Auch in der Zeitausdehnung ist sie grenzwertig: anderthalbstündig.

Die phänomenale, vom Publikum am Sonntagvormittag im Kieler Schloss mit angehaltenem Atem miterlebte, stehend bejubelte Auf­führung durch das Philharmonische Orchester Kiel unter GMD Georg Fritzsch war sogar zusätzlich irdisch-welthaltig und dauerte noch länger als üblich. Denn Fritzsch musste die bezwingend konzentriert begonnene Wiedergabe des gut halbstündigen Kopfsatzes zweimal unterbrechen: erst eines unbotmäßig tönenden Hörgerätes wegen, später weil eine Choristin medizinischer Hilfe bedurfte. Wie er diese Lage menschlich und organisatorisch meisterte und spontan eine Pause vor den Folgesätzen anberaumte, damit Orchester und Hörer wieder zu ungestörter Konzentration finden konnten, verdient Hoch­achtung. Und dass er mit dem Orchester die anfängliche Spannung trotzdem halten konnte, grenzt an ein Wunder.

In Fritzschs letzter Kieler Saison ist noch einmal eindrucksvoll zu erkennen, wie sein inspiriert fundierter, unaufgeregt lebendiger Musizieransatz vom fabelhaften Orchester (das hier an Höchstleis­tungen wie die Aufführungen von Wagners Ring nahtlos anknüpft) ebenso souverän aufgenommen wird. Das gilt fürs stabil-flexible Orchestergefüge ebenso wie für die zahlreichen expressiven Soli, von denen stellvertretend nur Posaune, Oboe, Violine und Posthorn genannt seien. Das Doppelbödige von Haupt- und Zwischentönen, das Ausreizen volksliedhafter oder militärischer Tonfälle, die gleich wieder in Frage gestellt werden, die bis an die Schmerzgrenze getriebene „Schönheit“ und ihre Demontage – all das kam zu Recht und Geltung, ohne dass Eindringlichkeit in Aufdringlichkeit umschlug.

Wie schon bei der Aufführung 2014 war Altistin Christa Meyer wunderbare Mittlerin des philosophisch-rätselhaften Nietzsche-Satzes, während Kinder- und Jugendchor der Theater-Akademien (Einstudierung: Moritz Caffier) und die Damen von Opern- und Philharmonischem Chor (Einstudierung: Lam Tran Dinh) die gebro­chene Naivität des 5. Satzes trefflich verwirklichten. So ist allen Musikinteressierten der Besuch der heutigen Aufführung zu empfehlen.

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