Kieler Nachrichten, 26.05.2015
Alte Musik, neue Poesie
VON OLIVER STENZEL
Kiel. Auf ein Konzert des Raschèr Saxophone Quartet freut man sich in Kiel wie auf den Besuch eines guten alten Bekannten. Gern erinnert man sich an die Jahre 2003 bis 2007, als das Quartett hier als „Artist in Residence“ des Theaters engagiert war und solo wie auch zusammen mit den Kieler Philharmonikern viele reizvolle Auftritte absolvierte. Anlässlich der Aufführung von Lera Auerbachs Galgenliedern verbinden sich die Musiker viele Jahre später am Freitag erneut mit einem hiesigen Ensemble, nämlich mit den Damen des Philharmonischen Chors Kiel.
Gewissermaßen als Warmup für das ambitionierte Projekt stehen in der gut besuchten St.-Nikolai-Kirche zunächst einige reine Quartettwerke auf dem Programm. Der Abend beginnt mit Präludium und Fuge g-Moll aus dem Wohltemperierten Klavier Band 2 BWV 885. Die Musik des großen Kantors zählt schon lange zu den Spezialitäten des Raschèr Saxophone Quartet. Auf reizvolle Weise wird hier die Strenge des Originals durch einen sacht aufsteigenden Klangnebel gewissermaßen infrage gestellt. Während Kenneth Coon und Andreas van Zoelen an Bariton- und Tenorsaxofon sonore Basisarbeit leisten, erinnern Elliot Rileys Alt- und Christine Ralls Sopransaxofon oft an Flöten- und Orgeltöne. Ein lohnender Reload der Originalkomposition, der wenig später auch bei Präludium und Fuge f-Moll BWV 857 aus dem 2. Band der Sammlung in ein überzeugendes Ergebnis mündet.
Für die Aufführung von Lera Auerbachs Galgenliedern nach Gedichten von Christian Morgenstern treffen in dem Konzert der Kieler Musikfreunde dann die wohlpräparierten Damen des Philharmonischen Chors auf das Saxofonquartett. Die diesem ebenfalls gewidmete Komposition nimmt die Skurrilität der Morgensternschen Lyrik pointiert auf: Da dürfen die von Lam Tran Dinh sensibel dirigierten Sängerinnen auch schon einmal laut seufzen. zischen und murmeln, stimmlich das Irgendwo zwischen Rezitativ und Gesang auskosten oder auch szenisch den Kopf schütteln, wenn die vier Bläser darüber zeitgleich so richtig ins Bratzen geraten oder versiertes Slap tonguing demonstrieren. So ist der Applaus für die fruchtbare Zusammenarbeit am Ende groß und die „Raschèrs“ zeigen mit einer Gabrieli-Canzone erneut, dass die Kunst, Alte Musik mit neuer Poesie aufzuladen, zu ihren besonderen Spezialitäten zählt.