Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 20.06.2022

Die Liebe, die Jagd und der Wein

Haydns „Jahreszeiten“ mit dem Philharmonischen Chor Kiel in der Wunderino-Arena

VON CHRISTIAN STREHK

KIEL. Gerade die mit kundigen Hobbysängern besetzten Chöre brauchen unbedingt Herausforderungen, Ziele – und Erfolgserlebnisse. Nach längerer Pandemie-Durststrecke und hinderlichen Corona-Infektions­wel­len in den eigenen Reihen hat es nun endlich wieder allseits beglückend geklappt, ein großes Oratorium aufzuführen: Der Philharmonische Chor Kiel darf am Sonntagmittag in der trotz Kieler Woche erfreulich gut besuchten Phil­harmonie in der Wunderino-Arena im rauschenden Beifall des Publikums baden.

Es kommt aber auch durchgehend über die Rampe, dass der Gegen­stand den bis zu 60 Sängerinnen und Sängern Spaß macht: Joseph Haydns weltliches Oratorium „Die Jahreszeiten“ steckt, wenn man sich denn engagiert darauf einlässt, voller musikalischer Wundertüten. Es kann sich aber auch, zu brav angegangen, ermüdend hinziehen. Das Gegenteil ist aber hier in der Einstudierung von Gerald Krammer und unter der Leitung von Generalmusikdirektor Benjamin Reiners der Fall.

Der Chor klingt nicht nur sehr ausbalanciert und – auch ohne Opern­chor-Unterstützung – raumflutend kraftvoll („Ewiger ...“). Er artikuliert den amüsant altbackenen Text erstaunlich lebendig und deutlich, er jubiliert und karikiert, fürchtet sich vor dem Gewitter, feiert die Liebe, die Jagd und den Wein. Auch die heiklen Chorfugen werden fast ohne Unwuchten technisch souverän bezwungen, obwohl der Dirigent mit eher rasanten Tempi ganz im Sinne des Ausdrucksgehaltes keine Kompromisse macht. GMD Reiners hat die Philharmoniker sportlich, mit klarer Phrasierung, wenig Vibrato, flirrender Naturimitation und knackigen Akzenten als Klassiker im Sinne des ausgehenden 18. Jahrhunderts an der Hand. Der Hammerflügel für die Rezitative bleibt aber das einzige „historische“ Instrument. Zugleich spürt man nämlich den Willen, die prophetisch frühromantischen Ideen des gewieften Haydn der Jahrhundertwende zu zeigen. Genüsslich ausgesun­gene Instrumentalsoli, klangmalerische Effekte, reiche Farbschattierungen für Temperaturen und Lichtstimmun­gen im Tages- und Jahreslauf sorgen schon in den genau getroffenen Hörbildern der vier Orchestervorspiele eben dafür. Dazu passt die glückliche Wahl der Solisten.

Der Endsechziger Haydn, der es in seiner Ehe wohl nicht gerade glücklich getroffen hatte, interessierte sich immer gerne für bezaubernde Sopranstimmen und ihre Eigentümerinnen. Die Partie der Hanne legt Zeugnis davon ab. Man muss sie aber auch so hinreißend singen können wie Johanna Winkel. Von den lauen Frühlingslüften über den kühlenden Hain in der Sommerhitze bis hin zur kecken Moritat am winterlichen Kachelofen bietet sie ein Maximum an funkelnder Vokalkunst. Auch der junge Bariton Jonas Müller singt die Simon-Zeilen wirklich schön, vielleicht zu schön, um im Dunstkreis von Bauern, Hirten, Winzern und Saufkum­panen glaubhaft zu werden. Denn in Sachen Textpräsenz und mit dem Mut, auch mal an Grenzen zu gehen, überflügelt ihn der Tenor-Kollege deutlich: Michael Müller-Kasztelan gibt als Kunstfigur Lukas den ganz irdischen Schwärmer, der aber auch, sozusagen stimmlich auf Zehen­spitzen, ganz zerbrechlich zart das Schwinden der Sommernacht besingen kann, als hätte er gerade Klopstock gelesen ...