Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 23.11.1920

Kieler Oratorien-Verein

Totensonntag — —

Sie kommen daher im langen, langen Zuge der Schatten — unsere Toten. Sie sind größere Chöre als wir alle, die wir am Licht noch Anteil haben. Sie sind nicht gestorben, denn sie leben weiter in den Träu­men und der Sehnsucht der Lebendigen, in deren Adern weiter pulst, was die Toten hinterließen an Lieben und Hadern.

Aus Johann Sebastians Kantate „Gottes Zeit“ klingen wieder alle Gedanken des Todes, der uns Lebende umgibt, und alle Gedanken des Lebens, das der Toten gläubigen Herzens wartet. Ein rechter „Actus tragicus“ ist diese Bachsche Tondichtung, deren Klänge unter dem Schleier der Wehmut liegen und zur Sternenhoffnung aufsteigen. Heißes Herzerleben durchzieht das Werk und die Pulse klopfen. Bach, der Dichter, der Dramatiker, der Mensch und der Künstler redet zu uns, und wir werden seiner ergreifenden Rede offenbar. Denn er redet gewaltig und nicht wie die Tongelehrten.

Beethovens C-Dur-Messe senkte trostreich und schön ihre Klänge in die Seele, daß heil werde, was wund ist, und lind und leise, was der Schmerzen voll —

Soll ich von solchem Klingen kritisch berichten? Zerpflückt man Kränze, die den Toten gehören? Versinken nicht die Menschen, die da singen und spielen, hinter diesen Klängen über Leben und Tod?

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Gehen wir an den Schlacken der Aufführung vorüber, so bleibt die verdienstliche Arbeit des Leiters Herrn Prof. Stein, seines sicher singenden Oratorienchores, des trefflichen Städtischen Orchesters. Frl. Hesses heller Sopran, Frau Günther-Vetters schöner Alt, der Tenor des Herrn von der Heydt und Herrn Eggerts Baß fügten sich zum Soloquartett. Frl. Hullmann spielte den Orgel-(Harmonium-)part. S—g.

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