Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 20.06.1925

55. Deutsches Tonkünstlerfest.

2. Orchesterkonzert.

Dreimal haben die nunmehr beendeten Musiktage einen beson­ders spannungsvollen Moment gehabt. Große Neugier galt dem Konzert der Farblichtmusik, die sich nach Idee und Ausführung als unfertig erwies. Der Höhe der Spannung entsprach die Tiefe der Enttäuschung. Große Erwartungen verband man mit der Aufführung der A-Moll-Messe von Kurt Thomas. Mit diesem gedankenneuen, formsicheren und klangfreudigen Werke stand man auf dem Gipfel des Musikfestes. Große Hoffnungen brachte man der „Ersten Symphonie für großes Orchester, opus 4. von Walther Goehr“ entgegen. Sie sind mit diesem Werke nicht erfüllt worden

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Dann erklang der 13. Psalm von Liszt, dem Gründer des Allge­meinen Deutschen Musikvreins. Es war ein glanzvoller Abgesang des Ganzen. Kammersänger Erb führte seinen Tenor in die Höhen der strahlenden Helle. Der treffliche leistungsfähige Festchor nahm alle Kraft zusammen, „die Lust und auch den Schmerz“, das Fest­orchester, das ungeheure Arbeit während dieser Tage geleistet und sich Anerkennung und Dank erworben hat, musizierte frisch wie am ersten Tage, und über dem langen Singen und Klingen schwang der Festdirigent Professor Stein, mit Beifall und Blumen gefeiert und geehrt, den Taktstock.

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Der Sang ist verhallt, aber nicht verschollen. Er klingt fort in vieler Menschen Sinn und Herz. Das einheimische Musikleben aber wird Anregungen in Fülle und neue Begeisterungen vom 55. Deutschen Tonkünstlerfest in Kiel in die kommende Zeit mit hinausnehmen. Was das erste Begrüßungswort in diesen Spalten sagte und wünschte, hat sich erfüllt. Ob erschüttert, ob freudig, ob gläubigen Herzens oder im prometheischen Trotz: in jeder Form war seelisches Erleben hier Gewinn. Das Wort des Dichters, wie es als Willkomm galt, gelte auch als des Festes Abschiedsgruß eines jeden:

„Du holde Kunst, ich danke dir dafür!“

Professor Hans Sonderburg.

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