Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 19.06.1925

Motette in der Nikolaikirche.

Als Einleitung spielte Kirchenmusikdirektor Arno Landmann aus seinen Vortragsstücken Opus 10 ein Orgelpräludium in H-Moll. Die Musik bewegt sich in herkömmlichen Bahnen, ohne nach irgendeiner Richtung hin irgend etwas Besonderes zu bieten. Die übliche Schluß­steigerung auf dem Orgelpunkt wußte der Vortragende recht wirksam zu gestalten.

Mit großer Spannung sah man der Aufführung der A-Moll-Messe, des Opus 1, des jugendlichen Kurt Thomas durch den A-cappella­Chor des Oratorienvereins entgegen und — daß es gleich gesagt werde — alle Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen. Das im vorigen Jahre für Soloquartett und zwei Chöre auf den lateinischen Messetext komponierte Werk hat schon zwei Auf­führungen erlebt, die erste durch Meister Straube in Leipzig, eine zweite unter Sittard in Hamburg. Man staunt, wie ein Zwanzigjähriger ein Werk scchaffen konnte, in dem neben großem Formenreichtum soviel Ausdruckskraft und -Schönheit zu finden ist. Freilich, um alles, was an eindringlicher Tonmalerei und Feinheit der Charakteristik in dieser Messe steckt, voll zu erfaßen, dazu bedarf es eines aufmerk­samen Studiums und eines mehrmaligen Hörens. Vor allem verlangen das Kyrie und Gloria mit ihren ungewöhnlichen Tonfolgen und ihren vom Altgewohnten recht sehr abweichenden Durchführungen eine besondere Einstellung. Hat man sich aber in diese Musik hineinge­lebt, dann zeigt sie alle ihre Wunder. Mit andächtigen Schauern hört man den eindringlichen Bußerufen des „Kyrie“ zu, man erhebt sich innerlich mit zum jubelnden „Gloria“ und stimmt freudig dem „Kredo“ mit dem herrlich ausgemalten crucifixus und resurrexit zu; man lebt in Tönen mit bis zu der prachtvollen Steigerung, die in dem „Amen“ diesen ganzen Satz krönt. Ein wonnigeres „Sanctus“ ist kaum vorher geschrieben worden. Wenn hier auf dem D-Dur-Dreiklang die Chorstimmen leise hin- und herschweben und über allem die lieblichsten Solostimmen strahlen, so ist es, als wenn überirdische Musik uns ergreift, als wenn Töne aus einer anderen herrlichen Welt uns entgegenklingen, so daß man in den Jubel des „Osanna“ mit einstimmen möchte. Ein feierlicher Bittgesang, das „agnus Dei“ mit dem ruhig ausklingenden dona nobis pacem, macht mit kurzen Erinnerungen an das Gloria und Kyrie den feierlichen Beschluß.

Der A-cappella-Chor des Oratorienvereins hat das ungeheuer schwierige Werk in monatelanger Arbeit unter der Leitung von Professor Dr. Stein einstudiert. Man darf sich aufrichtig freuen, daß all diesen Mühen ein so gutes Gelingen beschieden war. Kleine Schwankungen können zumal nach so anstrengenden Tagen gar nicht ausbleiben und das hohe a im vorgeschriebenen ff einwandfrei herauszubringen glückt hier und anderswo zuweilen weder dem Chor noch den Solisten. Doch das sind alles nur Kleinigkeiten gegenüber dem feierlich erhebenden Gesamteindruck, den das Werk hinterließ. Am schönsten und erfreulichsten war es zu gewahren, wie die etwa 60 Sängerinnen und Sänger sich innerlich mit dem Stoff vertraut gemacht hatten, wie sie selbst mit Begeisterung bei der Sache waren, und ihrem verdienten Führer auf jeden Wink folgten. Weil ihr Singen von Herzen kam, darum fand es so starken Widerhall bei der großen andächtig lauschenden Hörerschar. Den Solisten fällt eine größere Aufgabe in diesem Werk nicht zu. Die Damen Else Suhrmann und Hetta von Schmidt sowie die Herren Notholt und Dr. Pries­Kiel, der für den verhinderten Professor Moser eingetreten war, wurden ihrer Aufgabe in vollem Umfang gerecht.

Der A-cappella-Chor des Oratorienvereins darf diese Aufführung sowohl im Hinblick auf die Bewältigung der großen technischen Schwierigkeiten wie auch namentlich nach der Seite des fein verinner­lichten Vortrags hin zu seinen besten Leistungen zählen. Die Sprache war klar und schön, die Klangschattierungen waren vortrefflich, das Pianissimo sogar unübertrefflich. Martens.

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