Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Zeitung, 15.12.1931

Weihnachts-Motette

Unter diesem Namen ging eine Veranstaltung des Oratorienver­eins, deren Hauptstück das neue Weihnachtsoratorium von Kurt Thomas war. Man hatte dieses Werk an den Schluß gestellt und hatte dafür gesorgt, daß durch ein gehaltvolles Vorprogramm die nötige Aufnahmebereitschaft für das Neue erzeugt wurde. Dr. Deffner spielte auf seinem herrlichen Instrument zu Beginn Bachs Orgel-Toccata E-Dur — großzügig und beschwingt — und steuerte außerdem noch drei Orgel-Choräle (von J. S. Bach rückwärts über Pachelbel zu Arnold Schlick) bei, durch diese geschickte Wahl ein klingendes Beispiel für die Entwicklung der Choralfughette bis Bach gebend. Die unterschiedliche, feine und kluge Registrierung dieser Stücke war eine Sache für sich. —

Lotte Lindemann sang drei Weihnachtslieder von J. S. Bach aus dem ehrwürdigen „Gesangbuche Schemelis“, das eben der Mit­wirkung Bachs seine Berühmtheit verdankt. Unendlich zarte und schlichte Weisen, die von der Sängerin mit ihrem schönen, geschulten Sopran entsprechend vorgetragen wurden. Zu einem Zwiegesang („Wir eilen mit schwachen, doch emsigen Schritten“, Bach-Kantate) vereinigte sich die Sopranistin mit Erna Permin, deren pastoser Alt sich gut zu dem ausgesprochen hellen Sopran fügte.

Die pièce de resistance des Abends war das Weihnachts-Ora­torium. Ueber die Anlage dieses neuesten Werkes von Kurt Thomas (Op. 17) ist an dieser Stelle vor einigen Tagen anläßlich der Rundfunkübertragung aus Hamburg, wo es Meister Sittard mit dem Michaelis-Chor herausbrachte, das notwendige berichtet wor­den. Man konnte nach dem gestrigen Höreindruck betroffen sein von der Größe des Denkens und Wollens, die diesen doch noch sehr jun­gen Tonkünstler auszeichnet. Das Urteil — wie schön ist’s, so etwas feststellen zu können — kann nicht unsicher oder gar verwirrt sein, denn man spürt auch bei diesem Werk Blutsverwandtschaft mit den musikalischen Hochkulturen. Ja, es ist die Arbeit eines an den besten Vorbildern groß gewordenen Könnens von tiefem Gemüt und durchaus selbständigen Einfällen. Und gottlob verdunkelt die von Thomas virtuos gehandhabte Kunst des Kontrapunktierens nicht die helle Herzensflamme, die in diesem seinem neuesten A-cappella-Werk rührender und weicher als in den früheren Werken zum Ausdruck kommt. — Es ist eine ganz poetische und lebendige Erzählung der Weihnachtsgeschichte, die Thomas gibt. Natürliche und ungekünstelte Führung der Stimmen ergibt Klanggebilde von großer Schönheit und Ausdruckskraft. Die mit großer Satzkunst durchgeführten Bearbeitun­gen alter Kirchenlieder, die gleichsam als Zusammenfassungen die einzelnen Abschnitte beschließen, vertiefen die Stimmung, die das Werk zu erzeugen vermag, ungemein. Und wenn das letzte Amen der sechs Stimmen in einem klaren F-Dur-Akkord verhaucht, dann ist der Hörer eingesponnen in echte, friedliche, ruhevolle Weihnachtsstim­mung. — Man kann nur wünschen, daß Musik von solch ethischem Bestande in der wilden Kontrapunktik der Stile und Ausdruckskämpfe unserer Tage sich als ein rechter cantus firmus erweist. Dann braucht man um die weitere Entwicklung der Tonkunst keine Sorge zu haben.

Ausgeführt wurde das schwierig zu singende Werk von dem A-cappella-Chor des Oratorien-Vereins, der mit seinem Singen wieder bewies, daß er sich in die Eigenart der Thomas­schen A-cappella-Kunst vollständig hineingefühlt hat. Man muß es von den einzelnen Sängern selbst hören, wie sie sich für die Schönheiten dieses Oratoriums begeistern. Gibt es ein besseres Zeichen für den Wert dieser Musik, als solche Begeisterung? Diese Freudigkeit des sattelfesten Chores führte denn auch zu schönem Gelingen (von einigen Schwankungen der oberen Stimmen abgesehen). Professor Stein „spielte“ auf diesem Instrument mit Ueberlegenheit und zeigte dadurch von neuem seine enge Verbundenheit mit dem Wesen der Kunst eines Kurt Thomas. Mß.

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Siehe auch M—s.

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