Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 23.05.1931

Händels Oratorium „Salomo“.

Aufführung in der St. Nikolai-Kirche.

Die Grundform des Oratoriums, wie Händel es festlegte, ist bis heute wenig verändert geblieben. Ist er auch nicht der Schöpfer dieser Kunstform, so ist er doch ihr Neugestalter. Er löste seine dra­matischen Stoffe vom gottesdienstlichen Gebrauch, vom kirchlichen Hintergrunde, damit fielen die bei Bach üblichen eingestreuten Cho­räle fort, ebenso die Arien, die beschaulich eine moralisch-religiöse Nutzanwendung verkündeten. Händel holte sich aus den Heldenge­schichten des Alten Testaments seine dramatischen Gestalten, deren Kampf und Sieg, deren Leid und Untergang er schilderte in musikali­schen Szenen größten Ausmaßes. Judas Maccabäus und Josua, Saul und Simson und andere sind seine Helden. Die christliche Religiosität des Neuen Testamentes bietet ihm nicht die gleiche Ausbeute; aber hier erreicht sein Schaffen den Höhepunkt in der oratorischen Schöp­fung des „Messias“.

Der textliche Aufbau der Händelschen Oratorien packt in seiner dramatischen Geschlossenheit. Es stürmt von Begebenheit zu Bege­benheit; da ist kaum ein reflektierendes Aufhalten, wie es nur verein­zelt, zum Beispiel im Oratorium „Israel in Aegypten“, vorkommt. Alles drängt zu einem Gegenwartserleben, die verschiedenen Chöre sind gleichsam ins Große gestellte, leidenschaftlich erregte Einzelreden. So pulst es leidenschaftlich in diesen Händelwerken.

Dabei ist ihre Sprache von Kühnheit und Einfachheit erfüllt. Musika­lisches Genie und überlegenstes Können sind die Träger der packen­den Wirkung, die von Händels Oratorien bei guter Aufführung auszu­gehen pflegt. War der Meister schon zu seinen Lebzeiten populär — im Gegensatz zu Bach — so wirkt Händel auch heute noch durch seinen eindringlichen volkstümlichen Einschlag. Wie fest fügen sich die Quadern dieser musikalischen Bauwerke; wie schreitet der Rhythmus ehern dahin; wie wuchtet alles und wächst empor zu einem Pomposo der musikalischen Szene, glättet sich dann und zeigt sich zart in lyrischen Szenen. Dabei diese naturhafte Melodik, diese harmonische Einfachheit. Mag etliches verblaßt sein, mag der gesund hörende Genießer geruhig Episoden hinnehmen, die spezifisch historisch gehört und aufgenommen sein wollen: Es bleibt ein großer herrlicher Besitz nach.

Das zeigt sich auch in dem Oratorium „Salomo“, das neben drama­tischen Szenen dem Lyrischen reichlich Platz schenkt. In drei „Akten“ zieht das Werk vorüber und bringt Bilder aus dem Leben des weisen Königs Salomo. Ein Chor der Priester eröffnet das Werk, eröffnet das feierliche Dankopfer zu Jehovas Preis. Jevova selber hat mit seiner Huld den Bau geweiht. „Wie arm sonst wär' all die Schau —“. Die Königin, des Pharao Tochter, naht. Man wird durch ihr Gespräch Zeuge des Glücks, in dem beide leben. „Wieg, Nachtigall, zärtlich in Schlaf sie mit Sang“, so schließt der Chor sein teilnehmend Lied. — Im zweiten Akt spielt sich die bekannte Urteilsfällung über die beiden Mütter ab. — Das berühmte „salomonische Urteil“ wird verkündet. Gepriesen sei solch weises Richterwort — Salomo aber lehnt jedes Verdienst ab, denn von Gott kommt alle Tugend. In den Vorhöfen des Tempels ver­künden Volk und Priester Salomonis Herrlichkeit. — Als die Königin von Saba ihn nach dem Herrlichsten fragt, nennt Salomo Gott Zebaoth. — Thomas Morell ist der Dichter dieser biblischen Szenenbilder; er hatte zu Händel die rechte dichterisch-musikalische Einstellung, so daß der Komponist erfüllen konnte, daß „jedes Empfinden erklinge im Ge­sang“. Welche Gegensätzlichkeit zwischen dem jubilierenden Beginn und dem traumhaft schönen Schlußchor des ersten Aktes. Solcher Kostbarkeiten sind noch manche verstreut im Werk. Hervorgehoben sei noch die scharfe musikalische Portraitierung der beiden Frauen. Das Terzett im Verein mit Salomo ergibt eine Klangszene von großer Anschaulichkeit und Gefühlsstärke.

Die Aufführung bediente sich der Bearbeitung, der Einrichtung des Werkes durch Karl Straube. Die Wirkung kann hier entscheiden über das gelungene Wie dieser Arbeit. Eines wissen wir nicht über Händels Orchester: nämlich was er selber mag hinzugetan haben, wenn er an der Orgel saß. Sprechen wir es doch aus: Der Stil der Händelzeit, hier das Wesen Händels, seine leidenschaftliche Natur, sein künstlerisches Drängen werden nicht Zopf- und Perückenwerte, sondern lebendigste Kraft gewesen sein — und die ist es, die wir im gegenwärtigen Augenblick wieder erleben wollen. Sie muß das Wert­zeichen der Aufführung sein, und kam nach einem gezirkelt klingen­den Anfang immer freier zur Geltung. Der Leiter der Aufführung, Professor Stein, konnte die beschwingten Worte in Chor und Orchester sich solcher Art entfalten lassen, daß die Schönheiten des Händelwerks offenbar wurden. Der Chor, der sich in künstlerischer Arbeitsgemeinschaft aus Oratorienverein und Lehrer-Gesangverein zusammensetzte, bot ein geschlossenes Klang­bild, das Ergebnis guter Chordisziplin bei abgewogener Wirkung der Stimmgruppen. Dadurch wurde ermöglicht, daß bei sauberer Intona­tion auch das Dynamische zu gefeilter Darstellung kam. Aehnliches gilt auch vom Städtischen Orchester, dem sich der von Organist Dr. Deffner sicher durchgeführte Orgelpart gesellte.

Die Solisten erfreuten durch plastische Gestaltung. Vortrefflich bewährte sich Henny Wolff, die ihren breit fließenden Sopran mit charakterisierenden Vortrag verbinden konnte in zwei so gegensätz­lichen Aufgaben, wie sie ihr mit dem Hoheitsgesang der Königin und der Ergriffenheit der Mutter zufielen. — Ernst Lottorf setzte eine warm klingende leichte Baßstimme für den König Salomo ein, ebenfalls unter geschickter Beachtung wechselreichen Ausdrucks. — Annemarie Sottmanns Singen stand unter gleich glücklichem Stern, der besonders in den Höchstlagen aufleuchtete. Dort und im Piano entfaltete diese Stimme ihre schönsten Werte. — Harald Hansen sang mit Sorgfalt den Bericht des Dieners.

Dem hohen Liede Händels war würdiges Gelingen gegeben. S—g.

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