Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 29.01.1929

Motette des Oratorienvereins.

In der St.-Nikolai-Kirche veranstaltete der A-cappella-Chor des Kieler Oratorien-Vereins am gestrigen Sonntag eine Abendmotette unter Mitwirkung von Dr. Oskar Deffner an der Orgel. Die Vortrags­folge bot in ihrem ersten Teil mehrere Orgelwerke, vorwiegend solche älterer Meister. Sie begann mit Präludium und Fuge mit melodisch fein geschwungenem Thema in G-Moll aus der vielgewandten Feder des genialen Orgelspielers Girolamo Frescobaldi (1583—1643), dem Begründer einer für die Orgel zu seiner Zeit ganz neuen Vor­tragskunst, die sich vor allem in stark persönlicher Behandlung der Zeitmaße äußerte. Er hat durch seinen großen Schüler Joh. Jakob Froberger auch auf die deutsche Orgelkunst stark eingewirkt, so zum Beispiel über Heinrich Scheidemann an der Katharinenorgel in Ham­burg auf dessen Schüler Matthias Weckmann, den Kompo­nis­ten des zweiten Orgelstückes der Vortragsfolge, des Choralvorspiels „Nun freut euch, liebe Christen g'mein“, das nicht allein in der klaren Durchführung des Choralthemas, sondern vor allem auch in der rhythmischen Unabhängigkeit der Stimmen Frescobaldische Einflüsse offenbart. Von Dietrich Buxtehude (1637—1707), dem berühmten Organisten von St. Marien in Lübeck und größten Orgel­meister vor Bach, war das dritte Orgelstück, ein Choralvorspiel „Puer natus in Bethlehem“; und von seinem besten Schüler, dem hoch­begabten Husumer Stadtorganisten Nikolaus Bruhns (1665—1697) stammen Präludium und Fuge E-Moll, eine interessante Komposition, ganz im Stile der fantasiebeschwingten Orgelfugen des Lübecker Meisters, eigentlich mehr Fantasie-Fuge mit weitgeschwun­gener Melodie des Themas, von Charakter feierlich, ja ernst, und daher vortrefflich hinüberleitend zu Max Regers Trauerode op. 145 Nr. 1. Ein sehr schönes Orgelsstück, diese Trauerode. Von den reichen Möglichkeiten seiner klanglichen Differenzierung wurde durch Dr. Deffner unter wohldisponierter Ausnutzung des Stimm-Materials der prächtigen Nikolaiorgel ausgiebiger und wirkungsvoller Gebrauch gemacht bis hin zu der fein getroffenen Klanggrundlage, auf der sich der harmonisch reich ausgestattete Schlußchoral „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ wie von matt schimmerndem Untergrund erhob. Auch gelegentlich der klanglichen Ausgestaltung und thematischen Darstel­lung der übrigen Orgelwerke hatte Dr. Deffner eine glückliche Hand.

Der zweite Teil des Motettenabends umfaßte Anton Bruck­ners Messe in E-Moll für achtstimmigen gemischten Chor und Orgel. Zwischen der D- und F-Moll Messe des Meisters stehend stellt sie von ihrem Kyrie bis zum Agnus Dei fortlaufend eine musikalische Andacht von einzigartiger Tiefe und Inbrunsst dar; ganz Kirche, ohne jeden konzertanten Einschlag. Das erhöht die Anforderungen ihrer Wiedergabe nach der Seite der musikalischen Einstelloung, vor allem des Vortrags, hin nicht unerheblich. Die besondere Aufgabe ist freilich nur zu lösen auf der Grundlage einer völligen Beherrschung alles rein Gesangstechnischen. Rühmend muß anerkannt werden, daß der A-cappella-Chor des Oratorienvereins nicht nur die gekennzeichnete Forderung musikalisch-technischer Vorbereitung unter der chorbildnerischen Leitung seines Dirigenten, Prof. Stein, in ausgezeichneter Weise erfüllt, sondern unter desselben Künstlers gewiegter Führung das also erworbene Rüstzeug mit weit überwiegend vortrefflichem Erfolge auch in den Dienst einer im Sinne einer musikalischen Andacht vertieften und daher in ihrer Wirkung weihevollen Wiedergabe getellt hat. Gelegentliche Trübungen der Intonation — die Hauptsache untadelig war — an einzelnen hohen Sopranstellen fallen nicht weiter ins Gewicht. Ganz besonders schön gelangen u. a. im Gloria das „suscipe deprecationem nostram!“, im Credo „et incarnatus est“ und „crucifixus“, im Sanctus-Benedictus: „osanna in excelsis“, im Agnus Dei das „dona nobis pacem“ und der herrliche Schluß. — Auch gelegentlich der Wiedergabe der Messe erwies sich Dr. Deffner in der Durchführung der Orgelpartie als fein empfindender und bedachtsam — vor allem klanglich — gestaltender Musiker. W. O.

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