Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 01.11.1927

Musikalische Morgenfeier
für den Meistersaal.

Der „Stadthallenverein“ hatte Sonntag zu einer musikali­schen Morgenfeier für den Meistersaal eingeladen, für die im Kieler Stadttheater das Städtische Orchester, der Oratorienverein mit der Liedertafel und solistische Kräfte ihre Mitwirkung einsetzten. Wagners Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ eröffnete die Feierstunde. Dann nahm Landesrat Dr. Thode als erster Vorsitzen­der des Stadthallenvereins das Wort zu einer eindringlichen Anspra­che, in der er u. a. ausführte:

Die musikalische Morgenfeier des „Stadthallenvereins“ will nicht nur eine Kunststunde bescheren, sie will eine Werbefeier sein für das große Werk, einen würdigen und repräsentativen Konzert­saal zu erbauen, wie er Kiel bitter nötig ist. In guten Zeiten hat die Stadt manches versäumt, so auch den Bau einer Stadthalle. Bürgersinn traf nach dem Kriege opferwillig dafür ein; es waren nur wenige Gebefreu­dige, die aber eine stattliche, wenn auch nicht ausreichende Summe zusammenbrachten. Bemerkenswert ist, daß gerade der Mittelstand sich an der Aufbringung dieser Summe in hervorragender Weise beteiligt hat. So haben zum Beispiel die Mitglieder des Städtischen Orchesters monatlich sich einen Betrag von ihrem Gehalt abziehen lassen, ein Opferwille, den der Vortragende als ein nachahmenswer­tes Beispiel bezeichnete. Inzwischen erwuchs der Gedanke, den Bau eines Gewerbehauses mit dem einer Stadthalle zu verbinden, indem der größte Raum des geplanten Baues als „Meistersaal“ öffentlichen großen Veranstaltungen gewidmet sein soll. Für Kiel als Kultur- und Fremdenstadt hat sich das Fehlen eines modernen und würdigen Saales schon wiederholt schmerzlich ausgewirkt. Wie große Veran­staltungen dem wirtschaftlichen Leben Nutzen bringen, zeigte das Deutsche Sängerfest in Hannover, das dieser Stadt mehr als eine Million Mark zugeführt hat. Schönheit und praktische Anlage sollen in dem geplanten Meistersaal vereint werden, für den opferbereiter Bürgersinn die Mittel aufbringen soll und kann. Bisher haben nur 0,5 v. H. der Bevölkerung gezeichnet, jetzt muß der Meistersaalbau eine Angelegenheit von ganz Kiel werden. Das Wörtchen „Ich will“ reißt Sterne vom Himmel, es schaffe auch aus der Kraft der Bürgerschaft heraus den neuen Meistersaal.

Das in der Morgenfeier aufgeführte Hauptwerk, Beethovens „Chorphantasie“ für Pianoforte, Solostimmen, Chor und Orchester, Opus 80, pflegt man als eine „Studie“ zur neunten Sym­phonie des Meisters zu bezeichnen, weil deren Freudenthema im Opus 125 wiederkehrt. Und doch ist die Einführung des Chors hier ganz selbständig und schließt sich der Idee nach der Pastoral-Symphonie, Opus 68, an. Hier hatte Beethoven schon die Absicht, deren Schlußsatz in einen Hirtenchor mit einem Ernte-Dankgesang ausklingen zu lassen. Der erste Plan zur späteren Chorphantasie fällt in die Pastorale-Zeit. Es ist keines ernüchternd, es ist vielmehr klärend und dem Genießen eines großen Kunstwerks dienlich, wenn man sich von Ueberschwenglichkeiten der Deutung, von den Ueber­treibungen der an sich berechtigten musikalischen Ausdeutung frei hält und den von idealischer Kraft getragenen „Sachlichkeit“ nach­geht. So ist es denn „die Kraft“, die Beethoven verherrlicht, und bezeichnend sind die zur Höhe greifenden, stolz und zugleich sehn­suchtsvoll sich aufreckende Akkorde bei dem immer wiederholten Worte „Kraft“, der sich Liebe vermählt.

Beethoven trug seine Gedanken lange, oft sehr lange mit sich herum, ehe er sie zur Ausführung brachte. Dabei blieb ihm das Gedächtnis, wie er selber sagt, so treu, daß er ein einmal erfaßtes Thema selbst nach Jahren nicht vergaß. Er veränderte, verwarf, versuchte neu, bis er zufrieden war mit der endlichen Fassung. Dann aber begann in seinem Kopf die Verarbeitung in die Breite, in die Enge, Höhe und Tiefe. Beethoven pflegte dann sehr rasch die Arbeit des Niederschreibens auszuführen. Dieses Mühen um die restlose Ausnutzung eines großen Themas ist die Verbindungsbrücke, die von der Chorphantasie zum Schlußsatz der Neunten Symphonie führt.

Hafteten dem Vortrage des Meistersinger-Vorspiels mancherlei Unklarheiten an, so gestaltete sich die Aufführung der Chorphantasie zu einer schönen Leistung unter Professor Steins Leitung. Die Solostimmen aus dem Chor führten vortrefflich ihre Aufgaben durch, Richard Glas desgleichen die Klavierpartie. Das Orchester und die vereinigten Chöre gaben den großen Klanghintergrund des Ganzen. Die Kürze der musikalischen Morgenfeier ließ deren inneren Gehalt nur um so reiner aufleuchten. Das bestätigte der Beifall der angeregt lauschenden zuhörer. Professor Hans Sonderburg.

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