Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Zeitung, 21.12.1928

Weihnachts-Konzert.

(3.Volkskonzert.)

Eine große Anzahl von Mitwirkenden hatte sich unter Leitung von Prof. Dr. Fr. Stein zu dem gestrigen „Weihnachtskonzert“ des Vereins der Musikfreunde in der Nicolaikirche zusammengeschlossen. Die ausgezeichnete, künstlerisch wertvolle Vortragsfolge bestand aus Werken, die unmittelbar oder mittelbar Beziehung zum Weihnachts­feste haben, eine Vortragsfolge, die als ganzes berufen und geeignet war, eine Stimmung feierlicher, erhobener Freude zu bereiten. Das gilt zunächst von den vier Sätzen aus J. S. Bachs „Weihnachtsoratorium“. Hieraus wurden aufgeführt: Die stimmungsreiche, sehr charakteris­tisch instrumentierte Hirtensinfonie (Pastorale), die beiden Choräle „Wir singen Dir in Deinem Heer“, „Ach, mein herzliebes Jesulein“; zwischen den Chorälen stand die berühmte Baß-Arie „Großer Herr und starker König“, mit einer obligaten Solotrompete in der Orchester­begleitung. Das Baß-Solo sang mit kraftvoller, großer Stimme Hans Kaiser, Baßbariton aus Hamburg. Klar und hell klang die Solo­trompete des hiesigen Kammermusikers Paul Haußmann. Das Städt. Orchester und der Oratorienverein Kiel trugen das ihre dazu bei, daß ein klangschöner und stimmungsvoller Eingang zu dem Konzert entstand. Das hierauf folgende Violinkonzert Nr. 2 in E-Dur von J. S. Bach spielte Dorothee Sellschopp aus Mün­chen. Man lernte in ihr eine musikalisch und geigerisch sehr begabte Künstlerin kennen. Sie hat einen vollen tragenden Ton, gut fundierte Spieltechnik und sehr temperamentvollen Vortrag, der sich zumal in den rhythmisch energischen Ecksätzen schön auswirken konnte; das Adagio war dagegen nicht ganz in seinem Ausdruck erschöpft und auch rhythmisch nicht klar genug.

Den künstlerischen Höhepunkt des Abends bildeten dann drei Sätze aus Anton Bruckners E-Moll-Messe. Unter den Messe-Komposi­tionen Bruckners nimmt diese aus mehreren Gründen eine besondere Stellung ein. Ihre Entstehungszeit liegt nach den großen Messen in D- und F-Moll, die beide infolge ihrer Ausdehnung und ihrer reichen sym­phonischen Begleitmusik eines großen Orchesters einen noch so groß gedachten liturgischen Rahmen eigentlich überschreiten. Im Gegen­satz zu diesen Werken ist die E-Moll-Messe geschrieben für 8stimmi­gen Chor und Blasorchester (ohne Flöten). Es ergibt sich hieraus eine höchst eigenartige, sehr feierliche und typisch Brucknersche Klangwir­kung: gerade die Eigenart der Anwendung der Bläserakkorde gibt ja auch Bruckners Symphonik einen Teil ihres persönlichen Wesens. Ihrer Art und ihrem Umfang nach ist gerade die Messe in E-Moll für eine Verwendung im Gottesdienst geeignet und auch vorgesehen. Freilich ist hierbei ein wirklich guter Chor Voraussetzung. Denn die Anforde­rungen an die Intonationssicherheit sind sehr groß. Eine wunder­bare Harmonik und Chromatik des Chorsatzes hat hier die „expres­siven“ Aufgaben des sonst größeren Begleitkörpers übernommen. Wir hoffen, Gelegenheit zu eingehenderer Würdigung dieses in der gan­zen Messe-Literatur einzigartigen Werkes zu finden, wenn es einmal als Ganzes aufgeführt wird. Den Wunsch hierzu halfen die gestern gehörten drei ersten Sätze (Kyrie, Gloria, Credo) begründen. Es ist nicht anders als genial zu bezeichnen, wie hier mit den einfachsten Mitteln dynamischer Steige­rung, harmonisch symbolhafter Wendungen, mit den Urschritten der Quarte, Quinte und Oktave von Bläsern eindringliche und bildhafte Wirkungen erreicht werden. Die Aufführung war ausgezeichnet. Fritz Stein war hierbei in seinem Element, wie er den Chorklang abstufte und modellierte, hier eine Gruppe für sich herausleuchten ließ, an anderer Stelle den Gesamtchor dämpfte oder zu stärkster Klangkraft anfeuerte. Der A-cappella-Chor aber bewies aufs Neue, daß es um eine klanglich differenzierte starke Wirkung zu erzielen, nicht auf die Zahl, sondern auf die Güte und Reinheit der Stimmen an­kommt. Die schwierigen Einsätze und überraschenden Modulationen klangen sauber und sicher. Vortrefflich ausgeglichen waren wieder die Stimmgruppen unter sich sowohl wie im Gesamtklang. Sehr zu loben war auch Reinheit und Klangschönheit des Blasorchesters. Dies war besonders erfreulich; denn gerade zwischen diesen Gruppen (Sänger und Bläser) sind Reibungen in der Intonation meist kaum vermeidlich.

Händels kraftstrotzendes Tedeum bildete den machtvollen Abschluß des Konzertes. Dieses zur Feier eines englischen Sieges bei Dettingen geschriebene Werk (Deshalb „Dettinger Te Deum“ genannt) wurde anläßlich seiner Aufführung bei dem Kieler Händelfest einge­hend gewürdigt. Auch jetzt wieder hinterließ es durch die Wucht seiner Chöre und die Leuchtkraft des Orchesterparts, in dem hohe Solotrompeten eine wichtige Rolle spielen, starke Wirkung. Bis auf den nicht ganz sicher gelungenen Chor 9 „Du sitzest zur Rechten des Herrn“ war die gestrige Aufführung großzügig und fest gefügt. Der Oratorienverein und das Orchester, oft glanzvoll ergänzt durch Dr. Oskar Deffners Orgelspiel, wetteiferten in ihrer Klangentfal­tung, und Fritz Stein fügte die Klangmassen großzügig zum monumen­talen Ganzen. Hervorhebung verdienen die zahlreichen Trompeten­solis, unter ihnen besonders die Reinheit der ersten Solotrompete (Hußmann). Stimmcharakter, Kraft der Tongebung und die energische Vortragsweise Hans Kaisers waren den beiden ersten Baßsolis „Du bist der Ehren König“ und „Als Du auf Dich genommen“ gut angepaßt, nicht ganz dagegen dem „Arioso“: Bewahr o Herr.

Das Konzert war erfreulich gut besucht.

Paul Becker.

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