Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 26.10.1928

Zweites Volkskonzert

des Vereins der Musikfreunde.

Mozart-Abend.

Mozart

Seine Werke gehören zum Schönsten, was uns die tönende, klin­gende, singende Kunst geschenkt hat. Der Formensinn des „göttli­chen Meisters“ schafft vollendete Gebilde, die wie Bildhauer-Meister­werke einer klassischen Zeit vor unserer Zeit stehen. Wie später Schubert, nahmen die Götter auch diesen ihren Liebling bald zu sich. Fünfunddreißig Jahre wurde Mozart alt und leistete nach Zahl und Bedeutung der Schöpfungen die Lebensarbeit eines Siebzigjährigen, den das Psalmwort an die Grenze des menschlichen Lebens stellt. Die Gedanken strömten ihm zu. Aber nicht jeder Einfall fand sogleich Gnade. Mit größter Sorgfalt, Liebe und Kenntnis prüfte er seine Entwürfe, änderte und verbesserte wieder und wieder. Mozart war ein fleißiger Arbeiter im Weinberge der Musik und hat durch seinen Fleiß seinem Genius das Letzte und Höchste abgerungen.

Die Strenge gegen sich selbst bewahrte ihn davor, sich an Belang­loses zu verausgaben. Bei dem vielen, was er sagt, sagt er nie zuviel. Seine Leidenschaftlichkeit hat etwas Ritterliches; seine Dämpfungen sind nicht Dumpfheiten; sein Schmerz trägt den Adel der Klage, und seine Freuden strahlen in goldheller Sonnigkeit. Er liebt das Heitere und würzt es zu Zeiten mit Humor. Seine Partituren sind voll davon. Er findet zu allem, was Leben heißt, ein verstehendes Lächeln. Das macht ihn graziös. Das Rokoko zeigt sich bei Mozart als beherrschte architektonische Linie. Sein klingendes Zierwerk sind nicht leere Schnörkel.

Das erwies sich in dem vierten Konzert D-Dur für Violine und Orchester, das von Konzertmeister Träger rhythmisch gestrafft und geschmackvoll vorgetragen wurde. Lebhafter Beifall war der Aus­druck der Zustimmung und des Dankes, der auch der Orchesterbe­gleitung gebührte. — Die Titus-Ouvertüre eröffnete den Abend in Mozarts Geist.

Dann gab es eine Uraufführung: Mozarts Musik, Chöre und Zwischenaktmusik zu dem Schauspiel „Thamos, König in Aegypten“ von Gebler, in der textlichen Neufassung von W. Meckbach. Dieses Schauspiel mit seinen Geschehnissen aus Aegyptenland kann uns heute nicht im geringsten mehr bewegen. Schlimm, wenn kostbare Musik gebunden wird an unzureichendes Wort, wie es hier der Fall war. Der Freiherr von Gebler und der freie Herr Mozart sind ein ungleiches Paar. Es wird auch kaum das Textbuch selber, als das von Mozart erschaute poetische Bild gewesen sein, das ihn zur musika­lischen Gestaltung reizte. Ein kleines Bewegnis wird Anlaß zu großer Musik. Wenn sie heute wieder lebendig würde im Konzertsaal, es wäre ein Gewinn. Man könnte diese Musik als „Suite für Chor und Orchester aus König Thamos“ fassen. Die Chorsätze sprechen für sich selbst, weil sie aus sich selbst singen. Die Zwischenaktmusiken erhal­ten ihr kurzes Merkwort, das die Gefühlssphäre für den Hörer festlegt. Das vorliegende Melodram, so interessant es vom geschichtlichen Gesichtspunkt ist, könnte fehlen. Gewonnen hätte man vor allem einen Andante-Satz von bestrickender Schönheit, einen Sonnenchor, wie er erwärmender nicht gedacht werden kann, und andere Sätze, denen man hingegeben lauscht als charaktervollen Stimmungs­stücken. Diese Musik wird sich selbst retten können, wie sich ähnliche Suiten-Konstruktionen bewähren.

An der Versen von W. Meckbach aber dürfte diese Thamos-Musik kaum sonderliche Stütze haben. Sie bringen den entlegenen, ver­schollenen dramatischen Stoff dem Zuhörer nicht unmittelbar zwin­gend nahe und neigen zum Ton eines rhythmisierenden Berichts. Aber die Thamos-Musik Mozarts läßt darüber nachdenken, warum sie so verstummt ist, und daß es verdienstlich ist, sie hervorzuholen und dem Musikleben fruchtbar zu machen, wie es Meckbach erstrebt. Der Sonnengesang in seiner chorischen Gliederung und instrumentalen Untermalung ist eine Kostbarkeit. Dafür und für den gesamten musi­kalischen Gehalt setzte sich Professor Stein erfolgreich ein mit dem Kieler A-cappella-Chor des Oratorienvereins, dessen Soprane in der Hochlage Fährnissen ausgesetzt waren, die mit Bedacht behandelt wurden. Das Städtische Orchester spielte exakt. John Karstedt sang das Baritonsolo, Oberspiel­leiter Stöger sowie Frau Schjelderup vom Kieler Stadttheater führten die Rezitation aus. Am Schluß lebhafter Beifall, der allen Betei­ligten galt und den Textverfasser wiederholt hervorrief. S—g.

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