Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 07.01.1928

Die Jahreszeiten.

Oratorium von Joseph Haydn.

Eine Wiederholungsaufführung von Joseph Haydns unverwüstlich-köstlichen „Jahreszeiten“ war außerordentlich zu begrüßen. Rechtfer­tigt doch allein schon die lange und mühevolle vorbereitende Arbeit, die Einstudierung und Darbietung eines so umfangreichen und einen großen Aufwand an klanglichen Mitteln erheischenden Werks die Wie­derholung, um so mehr erscheint sie am Platze, wenn es sich um die Nutzbarmachung so hoher musikalisch-ethischer Werte für weitere Kreise handelt, wie sie in dieser einzigartig-schönen Partitur be­schlossen sind. Man darf der Leitung des Oratorienvereins nach­rühmen, daß sie stets bestrebt gewesen ist, die Kunst auch weiteren Kreisen dienstbar zu machen, und schon von diesem Gesichtspunkt aus mußten die Worte dankbaren und pietätvollen Gedenkens, die Dr. Richter vor Beginn des Konzerts in Erinnerung an den heimgegan­genen verdienstvollen ersten Vorsitzenden des Vereins, Justizrat Harries, sprach, sympathisch berühren und allseitige Zustimmung finden. Die Anwesenden erhoben sich zu Ehren des Entschlafenen von ihren Plätzen. Dann hob Professor Stein den Taktstock. — Der Chor ( Oratorienverein und Lehrergesangverein) sang auch dieses Mal wieder unter seinem bewährten Leiter mit merklicher innerer Anteilnahme und wohltuender Frische. Manches klang noch geschlossener und lebendiger und daher wirkungsvoller als das erste Mal. So brauste beispielsweise die Gewitterszene mit geradezu dramatischer Wucht daher. Auch dynamisch geriet einzelnes noch glücklicher, so zum Beispiel gleich der Eingangschor „Komm, holder Lenz“.

Auf ansehnlicher künstlerischer Höhe stand auch die Leistung der drei Solisten. Gewiß, die Stimmen hätten gelegentlich noch größer und ausgiebiger sein können; andererseits aber paßten sie sehr gut zusammen, namentlich Sopran und Tenor, was im Ensemble vorteilhaft in die Erscheinung trat und eine künstlerisch geschlossene Gesamt­wirkung gewährleistete. Anne Marie Sottmanns hohem, schlankem und biegsamem Sopran lag die Partie der Hanne vortreff­lich: was diese Aufgabe vor allem an Beweglichkeit der melodischen Linie und gelegentlichem feinen Portamento verlangte, wurde in erfreulichem Grade erfüllt bei wohlüberlegtem vortrag. Sehr hübsch einte sich der Sängerin blühende Tongebung im Zwiegesang dem weich und edel klingenden Tenor Dr. Hans Hoffmanns, dessen vornehme Art zu singen und gesunde Musikalität dem Lukas sehr gut zustatten kamen. Eine Vervollkommnung im Ausgleich der Klangre­gister namentlich nach der Höhe hin muß der sympathische Sänger sich noch weiter angelegen sein lassen und ebenso kleine Eigenwillig­keiten im Vortrag — wohl die Auswirkung an sich erfreulicher musika­lischer Selbständigkeit — ausgleichen. Tüchtiges bot auch Martin Ehrich aus Hamburg, der den Simon sang. Sein stark baritonal gefärbter Baß ist nicht so modulationsfähig wie die Stimmen seiner beiden Partner es sind; er klingt mehr ausgesprochen metallisch, was an sich freilich durchaus kein Fehler ist. Der Künstler sang mit merk­licher Hingabe und gutem Vortrag. Das städtische Orchester hielt sich auch dieses Mal wieder auf der Höhe seiner Aufgabe. W.O.

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