Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 25.06.1929

Messe, Psalm und Orgelklang
„Im höheren Chor“.

Motette in der Nikolaikirche.

Mit der Musik, die Niels O. Raastedt (Dänemark) schreibt, betritt man das Reich eines besinnlichen Musikers. Sein Sinnen verliert sich nicht in Spekulation. davor bewahrt ihn die innere Nötigung, die Kraft des inneren Schauens, das Intuitive in seinem Schaffen. Es kam seine „Messe für 4-6stimmigen A-cappella-Chor“, op. 32 zur Aufführung, die das Grundwesen Raastedscher Musik offenbarte.

Das „Kyrie“ der Messe, das „Herr, erbarme dich“, bewegt sich in einem pfleglich behandelten Chorsatz, der dem ganzen Werke dienst­bar wird. Hinzu tritt eine feine Unterschiedlichkeit in der Behandlung des dreifachen Bittausrufs. Das ergibt eine seelische Steigerung, die im dritten „Kyrie“ sich in einer Frohheit kund gibt. Hinter dem Flehen um Erbarmen steht hier der Ausdruck der Gewißheit: Die Leidlösung wird kommen. Damit erscheint die lebhafte Temponahme, der froh gestimmte Auftrieb bei den dritten Erbarmen-Rufen seelisch nicht nur berechtigt, sie sind auch künstlerisch erfaßt. Sie sind zugleich harmo­nisch in feine Form gegossen. Die harmonischen Wandlungen geben sich gerade im „Kyrie“-Satz dieser Messe als Stimmungsträger in den fallenden Ganzton-Schritten und in dem Schwanken zwischen Dur und Moll der Melodik.

Das folgende „Gloria“ wird deklamatorisch flüssig behandelt. Wirksam ist der Einsatz eines Solo-Soprans bei den Worten „der du die Sünden der Welt trägst“. Es schweigt die Menge. Die Einzelstimme wird der Träger der Gesamtheit, die dann erschauernd und erschüt­tert, in einem gleichsam murmelnden Parlando die Worte aufnimmt: „der du die Sünden der Welt trägst“. Es ist ein besonders schöner musikalischer Moment in Raasteds Werk. Die Sängerin, die diese Par­tie sang, gab mit ihrem charaktervoll und schön klingenden Sopran dieser Episode tiefe Wirkung. Ein Jubiloso-Amen beschließt den Satz.

Das folgende „Credo“ ist in dem Dreieinigkeits-Bekenntnis unterschiedlich gestaltet. Die Menschzeichen Christi, „gestorben und begraben“, werden vom Chor menschlich anteilvoll und wiederum unter mystischem Zwang erfaßt. Nicht umsonst folgte nach dem „be­graben“ eine Generalpause — Es weicht dem Auferstehungshymnus.

Sanctus und Agnus dei beschließen die Komposition und lassen die Grundelemente in Raasteds Schreibweise wiederkehren. Der Kompo­nist geht stimmungsmäßig den Glaubensworten nach. er bringt keine enger gefaßten Formstücke, etwa ein geschlossenes Fugato. Die kontrapunktistische Behandlung der Stimmen tritt zurück gegenüber der harmonischen. Hier erweist sich der Komponist als eigenwilliger Gestalter, der seine Klänge melodisch führt und sie harmonisch fein­sinnig und beweglich zu binden weiß.

Von Kurt Thomas kam sein „137. Psalm für zwei Chöre a cappella“ Opus 4 zur Aufführung: „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.“ Thomas ist ein Komponist von scharf geprägter musikalischer Persönlichkeits­einstellung auf sein Werk. Er objektiviert nicht. Von ihm selber lebt sein Singen, das in Sprache und Linienführung des Chorsatzes eine leidenschaftliche Seele verrät. Er imponiert, wenn er beginnt. Es steigert sich zur Bewunderung, wenn er in hervortretenden Episoden eine klingende Plastik der Darstellung gewinnt, der man gespannt zuhört. Die beiden Chöre reden in Wechselgesängen miteinander und finden sich zu Gemeinsamkeit. Das ist schon der Form nach von poeti­scher Wirkung. Denn die beiden Chöre sind jeder ein Charakter für sich. Es läuft also nicht bloß satztechnisch auf eine kunstvolle Vielstim­migkeit hinaus mit fugierten Sätzen, mit reich verstreuten kontrapunk­tischen Mitteln, sondern es kommt zu einem Psalmodieren, zu leiden­schaftlicher Rede der Chorgruppen in einem Hinströmen von Klage- und Zornworten. Fanatisch im Ausdruck klingt die hymnische Steige­rung, als von der „höchsten Freude an Jerusalem“ geredet wird, und zelotisch rumort es in den Männerstimmen, wenn der „verstörten Tochter Babel“ der Fluch gesungen wird. Von packender musikalisch-poetischer Wirkung ist es, wenn am Schlusse der Komponist die Worte wiederholt und sie gleichsam zur Szene werden läßt: „weinten — an den Wassern — zu Babel — “.

Köstlich dieser musikalische Fluß der Stimmen, diese leichte Hand des Tonsetzers, die doch so fest und sicher zuzugreifen weiß, die das Leben der Töne packt.

Der Oratorienverein unter der Leitung seines Chormeisters Professor Stein sang sich selbst zur Feier und zur Ehr'. Mit den Konzerten seines Jubiläums eines zehnjährigen Bestehens hat er sein Können bestätigt, seine schöne und beziehungsreiche Chordynamik, die ein rasches Dekrescendo und ein langsames Krescendo be­herrscht. Es sind neben anderem Guten zwei hervortretende Merk­male seiner Chortechnik. Eins sei empfohlen: Daß nicht einzelne Chorsängerstimmen aus dem Rahmen des ganzen hervortreten. Uebereifer einzelner kann schädigen.

Niels Raasted, der Kopenhagener Domorganist, betätigte sich in dem Vortrag seiner „Sonate C-Moll“ für Orgel Opus 50 als Komponist und Orgelvirtuose. Das Werk zeigte die Wesenszü­ge Raastedscher Musiksprache, ein zur Beschaulichkeit, zur Versenkt­heit neigendes Temperament, das sich zum Aufschwung bekennt. Interessant ist das versteckte Choralzitat im ersten Allegro mit sei­nem impulsiven Hauptthema. — Er spielte ferner in Uraufführung von dem Nordschleswiger Alfred Huth eine „Tokkata“ aus dessen Opus 34, ein in seinem auf ruhenden Bässen beweglichen Hauptthe­ma und seinen rhapsodischen Wendungen scharf profiliertes Stück. Raasted beherrscht sein Instrument und erwies sich auch im Vor­trag von Buxtehudes „Ciaconna C-Moll“ als ein Musiker, der die Register im Sinne wirksamen Instrumentierens und dabei der Entwicklung des betreffenden Musikstücks entsprechend zu behan­deln weiß.

Professor Hans Sonderburg

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Siehe auch Mß.

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