Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Zeitung, 21.06.1929

Chor-Konzert.

Der Musik als Repräsentant des Kulturbesitzes der Völker ist im Rahmen der Nordisch-Deutschen Woche eine wichtige Rolle zugefal­len: Abschluß und gewissermaßen Krönung der Festtage zu sein. Den sehr feierlichen Auftakt des viertägigen Musikfestes bildete ein Chor­konzert in der ehrwürdigen St. Nikolaikirche, die von erwartungsfroh gestimmten Menschen fast bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Der Anfang, die Uraufführung eines Concerto für Oboe und kleines Orchester Op. 70 von Jens L. Emborg (wirkt als Organist in Kopenhagen) konnte die Gemüter noch nicht in Wallung bringen. Eine grandiose Orgelfuge wäre als Einleitung des Festes wirksamer gewesen. Immerhin, — wir haben es in diesem Concerto mit einem liebenswürdigen, vorzugsweise heiteren Werk zu tun, das in seinen 8 Sätzen allerlei freundliche Landschaftsbilder in Erinnerung zu bringen vermag. Die Ueberleitungen zwischen den einzelnen, durch den pastoralen Gesang der Oboe erweckten Bildern wurden durch Orchesterzwischenspiele, die besonders im Rhythmischen eigen und interessant klangen, gegeben. Das frisch zugreifende Finale bildete einen reizvollen Gegensatz zu den Verträumtheiten des Mittelsatzes. Kammermusiker Rich. Lauschmann, dem das Werk vom Komponisten freundlichst zugeeignet ist, blies es mit jener Delikatesse, die wir von ihm gewohnt sind. In anbetracht der sehr spärlichen Konzertliteratur für Oboe mag das anspruchslose liebens­würdige Opus als eine Bereicherung gelten.

Mit Bruckners Messe in E-Moll für achtstimmigen Chor und Blasorchester wird die Atmosphäre ausgesprochen kirchlich. Die Brucknerpflege hat in der Zeit der Musikherrschaft Professor Steins in Kiel einen Aufschwung genommen, wie kaum in einer anderen Stadt Deutschlands. Die Kieler Musikfreunde sind somit im Anhören Bruck­nerscher Musik geübt und brauchen die Schwierigkeiten, die dieser östereichische Symphoniker seinen Hörern aufgibt, nicht mehr zu fürchten. Fritz Stein versenkte sich auch diesmal mit wahrer Inbrunst in die Partitur dieses ernsten erhabenen Werkes. Der A-cappella-Chor des Kieler Oratorienvereins konnte mit der für den Chor enorm schwierigen Messe (die Bläser­vereinigung setzt häufig aus, läßt den Chor a-cappella singen und schafft dadurch Schwierigkeiten der Intonation) den auswärtigen Hörern zeigen, was er leisten kann. Die Kieler Musikfreunde wissen es und sind mit Recht stolz auf diese Vereinigung. Ihnen war die ruhige, objektiv-feierliche Ausdruckskunst, mit der gesungen wurde, nichts Neues. Und es sei Gelegenheit genommen, mit Dankbarkeit auch auf die zurückliegenden Leistungen des „A-cappella-Chors“ hinzuweisen, der durch seine, Altes und Neues klug verbindenden Programme viel für die Musik getan hat.

Den erhebenden Abschluß fand das erste Festkonzert mit der Ur­aufführung der Kantate „Jerusalem, du hochge­baute Stadt“ von Kurt Thomas (Op. 12). Schon der Untertitel dieser Choralkantate verrät, daß Thomas nicht wie bisher mit der größten Beschränkung der äußeren Mittel arbeitet. Er verlangt: achtstimmigen Chor, 4 Soli, Orchester, Orgel. Aber nicht nur hierin liegt die Steigerung gegenüber seinen früheren Werken. Diese ist vielmehr zu suchen und zu finden in der überschäumenden Kraftfülle, die dem Werk entströmt und in der Unbekümmertheit, mit der Thomas aus dem Vollen schöpft. Wahrlich, der ewige Born der Musik sprudelt hier wild-kräftig empor und läßt ein Werk von geschlossenem, wuchtigem Bau und großer Geschlossenheit entstehen. Die Komposition richtet sich nach den Versen und der lapidaren Melodie des ehrwürdigen Chorals von Joh. Mayfart und stellt eine ekstatische Lobpreisung des himmlischen Jerusalems dar. „Mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, auf Chören ohne Zahl“ wird die Wonne der erlösten Seele gepriesen. Welche Gläubigkeit! Von dem Reichtum der phantasievollen, mit erstaunlichem Können gearbeiteten Partitur kann an dieser Stelle nur ein wenig zureichendes Bild gegeben werden. Ganz aus der Melodie des Chorals herausgewachsen ist die Musik gleichsam eine Interpretation des Textes. Bald klingen in den einzelnen Stimmen des Chores, bald im Orchester die Töne des Chorals an, große Steigerungen, charakter­volle (so bei dem Osanna im 7. Vers) sekundenlang die Wonnen eines strahlenden C-Dur auskosten läßt. Dazu (zum Festhalten an der Tona­lität) gehört heute Mut. — Leere Effekte sind vermieden. Trotz Trom­meln, Triangel, Becken, trotz der kirchlichen Trompeten und Posaunen, die stark hervortreten, bleiben Innerlichkeit und ernste Haltung des Werks gewahrt. Und so kommt es, daß nach der erhabenen Schluß­kadenz fff die Hörer ergriffen und innerlich beseligt noch lange auf ihren Platzen verharren. Es hat sich gelohnt, dabei gewesen zu sein! Prof. Stein, der das Werk in einem einzigen langen Atem aufbaute, verfügte über einen seltenen Apparat: Das prachtvolle Orchester, den stark beanspruchten Chor (Oratorienverein und Lehrergesangverein), diszipliniert, durchgehalten auch bei schwierigsten Stellen! Von den Solisten müssen diesmal die Damen mit besonderem Recht zuerst genannt werden. Anny Quistorp-Leipzig und Gusta Ham­mer-Berlin sangen ihre Partien mit empfindungsreichem, innervier­tem Ausdruck. Die Herrenstimmen, obwohl so tüchtige Sänger wie Wilhelm Ulbricht und Paul Lohmann-Leipzig bestens tätig waren, traten etwas zurück. der bewährte Oskar Deffner an der Orgel! — Es war ein Aufführung, die lange im Gedächtnis haften bleiben wird. Kurt Thomas hat die Kantate „Fritz Stein und dem Oratorienverein Kiel zum zehnjährigen bestehen in Freund­schaft und Verehrung gewidmet.“ Bravo!Mß.

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Siehe auch Martens.

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