Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 02.04.1930

Volkskonzert in der Nikolaikirche

Händel — Jochum — Thomas

Händels „Concerto grosso“ B-Dur op. 3 Nr. 1 stand zu Häupten des Abends mit seiner wuchtigen Vortragsfolge. Es ist wahr­haft ein großes Konzertstück und ein stolzes Opus 3 aus reich sich entfaltendem Händelgeist. Das erste Thema steigt markig durch den B-Dur-Dreiklang hernieder, Oboen musizieren. Alsogleich hebt ein Spiel und Widerspiel an. Es fügt sich alles so leicht und ist doch qua­dernschwer. Das folgende Largo ist voll Süßigkeit des Klanges. Die Oboe erhebt ihr Lied, und alle musizieren sie mit: die beseligten Violinen, die mit Andacht herzutretenden anderen Klangcharaktere. Der Schlußsatz wird ein freudiger Ausklang über so viel Schönheit. Sogar die Fagotte werden überaus lebendig in ihrer Terzen-Frohheit.

Das zweite Hauptstück der Vortragsfolge war eine Passaca­glia und Fuge für Orgel und orchester von Otto Jochum, dem Bruder des früheren Opernkapellmeisters am Kieler Stadttheater. Das Werk erlebte seine Uraufführung. Die Orgel spielt einen Introitus mit temperamentvollem Umgestüm, gleichsam als improvisatorischen Eingang zur folgenden Feierlichkeit der breit und ruhvoll gegründeten Passacaglia, deren Variationenwerk im wechselreichen Spiel um das Thema zur Geltung kommt. Die Fuge fügt sich spritzig-erregt an. Die zweite Violine beginnt; es wächst hinauf, es ebbt zurück, es drängt rasch zum aufrauschenden Ende, ohne die Fugenform in ihrer ganzen Breite und Tiefe erschöpft zu haben. Dieses Opus 12 des Komponisten Otto Jochum gibt ein Bild mit allen typischen Zügen heutigen Musikschaffens. Man erkennt und respektiert die technische Beherrschung der Mittel, man freut sich des architektonisch gegliederten Aufbaus dieser Musik. Aber die Wärme der eindringlichen, überzeugenden Ueberredungsgabe tritt zurück gegen eine Beredsamkeit mit großer Geste. Man hört ihr interessiert zu, denn sie gibt sich geistreich.

Der Organist an St. Nikolaus, Dr. Oskar Deffner, spielte den solistischen Orgelpart in ausgezeichneter spieltechnischer und in klangmeisternder Art. Es war eine Freude, dieser Leistung zuzuhören, die der Wiedergabe des Werkes den tragfähigen Klangbaugrund gab. Professor Stein leitete die Aufführung beider Werke und hielt auf schönes Spiel. Er wird allerdings darauf bedacht nehmen müssen, das Hineinsingen in die Musik, das namentlich in den letzten Konzerten recht störend gewirkt hat, zu unterlassen. Vom Taktstock, der die Verlängerung des Dirigenten bedeutet, soll allein alle Wirkung ausgehen. Ferner ist es unangebracht, wenn unmittelbar vor Spiel­beginn das Orchester im Kirchenraum oder im Konzertsaal sich bemerkbar macht durch vernehmbares Stimmen und Probetöne.

Das dritte Hauptstück des Abends: von Kurt Thomas die Kantate „Jerusalem, du hochgebaute Stadt“. Geschrieben ist sie für achtstimmigen Chor, Solostimmen, Orchester und Orgel. Der Komponist macht es hörbar, was sein Dichter J. M. Mayfart (1642) sagt: daß im Jerusalem das Halleluja und Hosianna ertönt „mit Jubelklang, mit Instrumenten schön, auf Chören ohne Zahl“. Im ersten Teil herrscht die selige Sonnenhelle der hochgebau­ten Stadt. Der Weg zu ihr geht durch das Martyrium. Gegensatzstark erklingt eine düstere Episode. Dann aber hebt „mit hunderttausend Zungen, mit Stimmen noch viel mehr“ das güldene Preislied „Jerusa­lem! Jerusalem!“ an.

Diese Kantate trägt auch die Opuszahl 12. Sind bei Jochums Passacaglia die Beziehungen zum typisch kirchenmusikalischen Stil abgebrochen, so vernimmt man bei Kurt Thomas sogleich die sorglich gesponnenen Klangfäden, die ihn mit den großen Stil- und Klangge­walten früherer Zeit verbinden. „Wohl dem, der an's Ende der stolzen Reihe sich geschlossen sieht“ — und dennoch seine Weise selb­ständig durchzusetzen weiß. Man wir Zeuge eines schönen, drängen­den Musizierens.

Die Aufführung der Kantate, an der der Oratorienverein — einige Mitglieder konnten sich sogar solistisch erfolgreich betätigen —, der Lehrergesangverein, das Städtische Orchester und Organist Deffner beteiligt waren, stand unter Leitung des Komponisten. Die Wiedergabe war dynamisch auf Flächen­wirkung gestellt. Manch schönes Einzelstück trat hervor. Die Ungunst der Märtyrer-Strophe konnte man vergessen über den hymnischen Schluß. Professor Hans Sonderburg.

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