Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 03.12.1929

Liederabend des A-cappella-Chors des Oratorienvereins.

Es ist ein unbestreitbares Verdienst des großen Oratorienvereins sowohl wie seines kleinen A-cappella-Chores, daß beide unter ihrem verdienstlichen Leiter, Professor Dr. Stein, bemüht sind, neben der Pflege wertvoller Musik vergangener Zeiten auch mit bedeutsamen Werken lebender Tonsetzer bekannt zu machen.

In dem Liederabend, den der A-cappella-Chor Sonntagabend in der Aula der Kieler Universität veranstaltet hatte, hörte man zum ersten Male das Chorwerk „Zeitkranz“ von Armin Knab. Der Text ist aus Gedichten des Flamländers Guido Gezelle zusammen­gestellt und von Rudolf Alexander Schröder ins Deutsche übertragen. Der Uebersetzer glaubte, den deutschen Sprachschatz hin und wieder bereichern zu müssen. Ob mit Glück, ist eine andere Frage. Wenn er beispielsweise in der Schilderung des Frühlings verdeutscht: es spreht (soll wohl heißen: die Stare pfeifen) oder es finkt und zeiselt (der Zeisig piepst), so kann man diesen Wortbildungen nicht zustimmen.

Weit besser ist dem Komponisten Armin Knab die Verto­nung gelungen. Er hat je fünf Gedichte in einem weltlichen und geistlichen Teil zusammengeschlossen und eine Musik geschaffen, die, im strengen Chorsatz der „Alten“ wurzelnd, gleichzeitig einem gesun­den, modernen Empfinden Rechnung trägt. Zunächst beherrscht er die Satzkunst in hohem Maße. Kein Lied, das nicht in kanonischer Form oder in Imitationen des Themas den großen Könner zeigte. Das ist es aber nicht allein. Armin Knab hat auch eine Fülle von Gedanken, überraschenden Wendungen, mit denen er den Text ebenso treffend wie reizvoll auszudeuten versteht. Man wird das Ohr allerdings an starke Reibungen und die fast allzu häufigen leeren Quarten und Quinten — von Stellen wirksamer Tonmalerei abgesehen — gewöhnen müssen.

Der A-cappella-Chor tat wohl daran, diesen „Zeitkranz“ nach einer darauffolgenden Reihe Brahmsscher Lieder, die köstli­chen Wohllaut mit innigster Empfindung verbinden, am Schluß zu wie­derholen. Es löste sich dabei manches anfänglich Befremdende auf, und der Eindruck, in Armin Knab einem Tondichter von Rang gegen­überzustehen, wurde mehr und mehr gefestigt. — Den Sängern war es anzumerken, daß sie so recht mit der Seele, von innen heraus sangen, daß sie sich mit liebevollem Verständnis in diese gewiß eigenartige Musik hineingelebt hatten. Diesem „Kleinen Chor“ hat Professor Stein eine so feine Klangkultur anerzogen, daß ihm zuzuhören immer wieder Genuß bedeutet. Daß gelegentlich Einsätze nicht klar herauskamen oder die großen Höhen im Sopran nur mit Mühe erreicht wurden, will bei dem ausgezeichneten Gesamteindruck wenig besagen.

Der herzliche Beifall bewies, welche Freude der A-cappella-Chor allen Hörern wie so oft schon bereitet hat; und darum wäre es sehr zu wünschen, daß die werbenden Worte des Vorsitzenden Dr. Rich­ter, dem Oratorienverein recht viele fördernde Mitglieder neu hinzu­zugewinnen, auf fruchtbaren Boden fallen möchten. M-s.

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Siehe auch Paul Becker.

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