Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 02.07.1931

Sommernachts-Singen.

Ernste und fröhliche Weisen im Freien unter Bäumen.

Not lehrt beten — Not läßt auch singen, dieweil es an der Zeit ist, sich in kleine Freuden zu stürzen. Dazu gehört das Singen, das frische, franke, volkstümlioche Singen. Musik befreit den Menschen von Sorgen. Obendrein liegt im Singen eine besondere Herzenskraft. Deutsches Lied stärkt deutschen Sinn; solcher Kraft bedürfen wir.

Der „Deutsche Sängerbund“ hatte für den letzten Sonntag einen „deutschen Liedertag“ angesetzt. Singendes Volk! Man sang in mittäglicher Feierstunde von Vaterland und Frühling, von Liebes­freud und Liebesleid, vom Wandern und vom lieben Daheimsein — und die Vögel zwitscherten in das Lied der Singenden ihre Weisen.

Wem leer das Herz.

wem kalt der Sinn,

nur der vermag nicht zu verstehen,

daß in solch Singen, Duften, Wehen

der liebe Gott ist mitten drin.

Poetisch wie die Sonnenhelle des Mittags, die sich über blühenden Blumenzauber ergießt, ist auch der stille Sommerabend. Verschwiege­ner noch ist er und stiller und heimlicher. Wenn leise sich die Wipfel der Bäume bewegen und die Vöglein im Walde schlafen und der letzte Lichtstrahl des Tages zur Neige geht, dann wachen die leisen Stim­men der Nacht auf. Der Kieler Düsternbrooker Wald weiß davon zu erzählen. Der kleine schöne Waldweiher atmet Waldstimmung und wird Diana wohl nicht vertrieben haben, die heimlich sich dort zu spiegeln pflegt. Man weiß davon heut nichts Genaues, denn die modernen Menschen der Sachlichkeit sagen, es sei mit der Romantik nicht weit her. Sie wissen nicht, daß sie „geographisch“ im Irrtum sind. Denn die Romantik läßt das Weite in der Nähe geistern, und ihre Anhänger sind ganz seltsame Geographen.

's ist halt eine köstlich dumme Sache um das Romantische. Wer nicht den Duft der blauen Blumen kennt, weiß nicht, daß jeder harte Stein mit uns geschäftig sprechen muß, wenn du es willst — daß „aus mondbeglänztem See zum Strand sich hebt die blasse Wasserfee, umspielt vom Tanz der neckischen Libellen“ — daß lauter seltsame Dinge sich ereignen, wenn der Mond heraufkommt — und daß die Seele weit ihre Flügel ausspannt und durch Traumland fliegt — —

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Johannistag ist gewesen, Mittsommernacht verflogen. Rasch eilt die Zeit. Doch helle Sommernächte bleiben noch ein Weilchen; laßt uns sie nutzen, Singen ist dazu ein gut Ding.

So dachte auch der Kieler A-cappella-Chor und sang sein Lied in der Sommernacht, sang Lieder, die aus alten Tagen, die aber (wie der Abend zeigte) nicht verklungen sind. Im Garten von Bellevue sang er, und zumeist waren es Madrigale, die gesungen wurden, A-cappella, Bellevue und Madrigal sind drei fremd klingende Worte. Sie haben als „technische Ausdrücke“ mit dem Gefühl nichts zu tun. Aber die Form tut hier nichts zu Sache; denn Frau Musika selber ebnete alles und einte Singende und die vielen Lauschenden zu einer Ge­meinde froh gestimmter Seelen.

Die Singvereinigung A-cappella-Chor hat hier Freundliches getan, wertvolle Musik in volkstümlicher Form weitesten Kreisen nahe zu bringen. Er hatte eine Einladung ergehen lassen „an Alle“ zum Zuhören und Miterleben. Was kostete es?

„Keinen Dreier!

Umsonst klingt die Leier!

Das Singen ist frei!

Dideldumdei!“

So nach Volksliedart wurde gesungen. Man bot die schönsten Weisen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, dazu manchmal volkstüm­liche Lieder, Lieder, die „dem Volke aufs Maul gesehen haben“, so ursprünglich und schalkhaft, so versonnen und heimlich, so in kla­gendem Leid und in jauchzender Lust.

Sie kamen alle dahergegengen: Johann Hermann Schein, ein Vorgänger Johann Sebastian Bachs und fröhlicher Musikant; Regnart, der Niederländer; Johannes Eccard, der Thüringer und Lasso-Schüler; Orlando die Lasso selber mit seinem „Echolied“. Er entstammt dem Hennegau und in München hat man ihm ein schönes Denkmal gesetzt; Balthasar Donato, ein Italiener, der mit seinem Lied von der Henn', die ein Eilein bringt coc, coc, ein gut Geschenklein zum Sommernachtssingen stiftete; dazu etliche andere bis zu dem deutschen Meister Brahms, mit dem Vornamen Johannes, und Friedrich Silcher, der durch seine Sammlung deutscher Volkslieder uns kostbarstes Volksgut erhalten und darin manche eigene Weise aufgenommen hat: „Aennchen von Tharau“ und „Die Loreley“, „Morgen muß ich fort von hier“ und „Zu Straßburg auf der Schanz“. Kein Wunder, daß er ob solchen Liederschatzes von sich singt „Wohin mit der Freud?“

Und der A-cappella-Chor unter der schmiegsamen Leitung von Pro­fessor Stein sang und sang mit Lust und Liebe und gutem Können, daß sich alle und alles freuten und mit Dank für die liebenswürdige Liederspende den Abendsegen heimtrugen, der ihnen am Schlusse auf den Weg gegeben wurde: „Ade zur guten Nacht“. S—g.

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Siehe auch Mß.

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