Philharmonischer Chor Kiel

Flensburger Presse, 12.05.1967

Strawinsky und Bruckner

Intelligenz und Musikalität auf hoher Ebene zeichnen die Psalmen­sinfonie Strawinskys aus, ein beispielgebendes Chorwerk des 20. Jahrhunderts. Der gemischte Chor — Städtischer Chor Flensburg (Ein­studierung Josef Beischer) und Städtischer Chor Kiel (Einstudierung Norbert Scherlich) — sang die drei Chorsätze (lateinische Texte des 38., des 39. und des 150. Psalms aus der Vulgata) mit ruhiger und schöner Intonationssicherheit. Das Vokale wurde auf diese Weise zum überzeugenden Hauptpart in der phantasievollen und immer neue Formen entdeckenden Instrumentation des Werkes: die Streicher­gruppe nur aus Celli und Kontrabässen, zart die Holzbläser, prächtig das vielgestaltige Blech, rhythmisch hämmernd die beiden Klaviere und bestimmend das Schlagzeug.

Die bei vielfältiger Dynamik (Holzbläser mit Frauenchor allein, Män­nerchor allein mit Schlagzeug, zarte Linieführung im Vokalen bei hefti­gen Dissonanzen im Instrumentalen), doch strenge Klassizität des „modernen“ Werkes verfehlte ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht, und Strawinskys Komposition bestätigte die Richtigkeit seiner Auffassung von der Tradition und ihrer anregenden Kraft.

Und dann geschah wieder einmal das Wunder einer Sinfonie von Bruckner. Er hat diese Dritte „dem Meister Richard Wagner in tiefster Ehrfurcht“, der Sinfoniker dem Theatraliker, der stille Arbeiter dem gewaltig Wirkenden, der „Spielmann Gottes“ dem Darsteller seiner selbst gewidmet. Aber bei aller Verehrung ist dieser Genius sich selber immer treu geblieben: unzählig die Einfälle, unwahrscheinlich die Kontrapunktik, voller Klarheit die Themen und scheinbar uner­schöpflich die Breite seiner Sätze.

Welcher seiner neun Sinfonien der individuelle Geschmack den Vorzug geben mag — „er bleibt für den säkularisierten Menschen des 20. Jahrhunderts die letzte Möglichkeit, fromm zu werden“.

GMD Heinrich Steiner und seinem Orchester, aus dessen Mitte der Cellist Ludwig Reitberger nach vierundvierzigjährigem Dienst als Orchestermusiker ausscheidet, bereitete das dankbare Publikum lebhafte Ovationen nach diesem unzweifelhaften Höhepunkt der Spielzeit 1966/67. (sch)

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Siehe auch Dr. Wilhelm Hambach

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