Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 18.03.2013

Der Ruf nach dem Frieden

Beethovens C-Dur-Messe unter GMD Fritzsch

Kiel. Beethoven bleubt ein janusköpfiges Phänomen. Gerade ist seine selten gespielte erste Messe op. 86 mit dem Stuttgarter Kammerchor unter Frieder Bernius auf einer Carus-CD als intelligenter Spiegel des Barocken und klassischen 18. Jahrhunderts erschienen, da beweist Kiels GMD Georg Fritzsch trotz ähnlich historisierenden Ansatzes doie frühromantische Ausdruckskraft des Werkes von 1807.

Von Christian Strehk

Das macht dem großen „Ludwig van“ allenfalls er selber nach – im gewaltigen, zehnJahre später komponierten Schwesterwerk, der Missa solemnis. Doch hier, im C-Dur-Gotteslob für die Fürstin Esterhazy, stecken zumindest schon die Lunten für den großen Knall in der Kirchenmusikgeschichte. Generalmusikdirektor Fritzsch, im Vorgespräch noch eher gebremst begeistert von der Messe, ergreift die Flucht nach vorn. Das Kyrie fließt noch lyrisch asketisch. Im Gloria aber bricht die edle, an Haydn geschulte Oberfläche auf. Und eindrucksvoll beklemmend wirkt dann das eingebettete Qui tollis peccata mundi – sehr schön verschattet intoniert von der Mezzo­sopranistin Stefanie Atanasov. Mit seinen auskomponierten Herzrhythmusstörungen in den Streichern und den flehentlich insistierenden Miserere-Rufen weht ein Hauch von Kriegsangst durch die Partitur. Solche für Beethoven typischen, abrupten Stimmungs­umschwünge wirken auch im Glaubensbekenntnis Credo plastisch herausgearbeitet. Und das abschließende Agnus Dei-Bitten klingt in seiner intimen Dichte schon wie von Franz Schubert erdacht.

Der von Barbara Kler einstudierte Philharmonische Chor besteht die nicht geringen Anforderungen in Würde, zum Beispiel die a-capella-und-Chromatik-Prüfung im Sanctus ohne größeres Absacken. Auch nimmt er die forschen Fugen-Tempi mit Sportsgeist willig auf.

Der Chorsopran, zunächst am Sonntagmorgen noch ein wenig matt, schraubt sich immer glücklicher in Beethovens Höhen hinein. Der Alt gewinnt den Pokal für die edelste und aussprachefreudigste Klanggruppe. Nur in den aufgestockten Männerstimmen führt die mächtige Präsenz der Opernchorprofis manchmal zu Einzel­stimmen­paraden.

Die wiederum sind über dem schön herbstfarbenen Fundament des kurzfristig eingesprungenen Basses Hans Georg Ahrens bei den Solisten ein Vergnügen. Susanne Bernhard, einst das sehr früh mit Partien geforderte „Küken“ im Kieler Ensemble der Kirsten-Harms-Ära, hat das fluoreszierende Strahlen ihres Soprans inzwischen mit Reife und noch mehr Resonanz angereichert. Und Tomasz Zagorski kennt man längst als den einnehmend flutenden, auch zu Pianissimi fähigen Tenor, wie man sich ihn gerade für Messkompositionen wünscht.

Die Philharmoniker, angetreten in luftiger Besetzungsstärke als längst hoch erfahrene Ritter klassisch informierter Aufführungspraxis, mischen immer wieder spezielle klangfarbliche und -rhetorische Akzente ins Hörbild. Ihre Kür haben sie da in dieser Hinsicht (trotz kleiner Unsauberkeiten) aber schon hinter sich: Mozarts „späte“ Es-Dur-Symphonie KV 543 erhält unter Fritzschs Leitung vor allem im Kopfsatz aufregend revolutionären Anstrich – spürbar nahe dran am unerschöpflichen melodischen Füllhorn der Opernfiguren und zugleich herrlich unberechenbar. Auch davon hat Beethoven viel gelernt

Zuletzt geändert am 18.03.2013