Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Zeitung, 23.03.1932

Passionskonzert

Der Verein der Musikfreunde veranstaltete gestern in der St. Niko­laikirche ein Passionskonzert.

Sehr gut am Ort befand sich zur Vorbereitung der Stimmung das eingangs gespielte Konzert Nr. 1 in G-Moll für Orgel und Orchester von Händel, bearbeitet von Max Seiffert. Unter Leitung von Fritz Stein erklang es in klar disponiertem Aufbau. Sehr zu loben war die zurück­haltende und doch wirkungsvolle Registrierung des Orgelparts durch Dr. Deffner. So kamen die Streicher als kontrastierender Klangkörper schön heraus und die Gesamtwirkung wurde zu einem richtigen „Concerto“.

Hiernach kam ein alter schleswig-holsteinischer Meister zu Gehör: Nicolaus Bruhns, geb. 1665 zu Schwabstedt (Schleswig), gest. als Stadtorganist zu Husum 1697 (J. S. Bach war damals 12 Jahre alt). Ursprünglich Violinist, wurde Bruhns als Orgelspieler und Komponist Schüler von D. Buxtehude in Lübeck. Zur Aufführung gelangten gestern seine Kantate „Ich liege und schlafe“ für vierstimmigen gemischten Chor, vier Soli, Streichorchester und Orgel und die Kantate „Die Zeit meines Abschieds ist vorhanden“ für Chor, Streichorchester und Orgel, beide Werke bearbeitet von Fritz Stein. Die Chorsätze zeichneten sich aus durch einen kunstvollen, klingenden Satz, denen gegenüber die Soli der ersten Kantate zu lang ausgesponnen und zu gleichmäßig erschienen. Trotz ihres musikalischen Gehaltes und ihrer ernsten Haltung ist die Ausdrucksfülle Bachs bei weitem nicht erreicht. Zwischen den beiden Kantaten stand beziehungsreich der von Dr. Deffner stimmungsvoll vorgetragene Orgelchoral „Ach Herr, mich armen Sünder“ von Buxtehude.

Das stärkste Interesse des Abends richtete sich hiernach auf eine Passionsmusik von Heinrich Kaminski, der mit Kurt Thomas zu dem ernstesten, innerlichsten und tiefstschürfenden Komponisten neuer geistlicher Musik gehört, und dessen Werke in Kiel sich einer besonderen Pflege erfreuen. Auf dem Programm war mitgeteilt, daß diese Passionsmusik zu dem mittelalterlichen Mysterienspiel der Brüder Arnoul und Simon Greban geschrieben wurde, daß sie aber im Einverständnis mit dem Komponisten, falls eine szenische Darstellung nicht möglich ist, auch in die Rezitation der biblischen Passionserzäh­lung eingefügt werden könne. Und in dieser Form wurde die Musik gestern dargeboten.

Es handelt sich um 7 kurze Sätze, von denen einer Introitus und „Einzug in Jerusalem“ der Textverlesung vorausgehen, beide gesetzt für Chor und Orchester. Das Abendmahl wird abgeschlossen durch ein „Amen“ für Chor und Orchester. Auf die Gefangennahme folgt ein Choral (Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen) für Sopransolo und ein Orchestersatz über „O Haupt voll Blut und Wun­den“ Hieran schließen sich noch drei Sätze, die als Chor der Seelen im Vorhimmel, Chor der Verdammten und Chor der Seligen bezeichnet sind. Der Eindruck dieser Musik war unmittelbar packend und tiefge­hend. Chor- und Orchesterklang zeigten die bei Kaminski gewohnte Leuchtkraft und bildhafte Ausdrucksstärke. Wunderbar schließt sich die komplizierte Polyphonie und die bewegliche Rhythmik zu höherer geschlossener Einheit zusammen. Selbstverständlich schreibt Kamin­ski nie eine nur äußerlich schildernde Illustrationsmusik. Und doch trifft er jeweils die Textstimmung aus innerem musikalischen Erlebnis mit stärkster Plastik, ob er im wogenden Chor- und Instrumentalsatz den Einzug in Jerusalem darstellt oder in ergreifendem Instrumental­satz den Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ erklingen läßt. Ebenso einfach wie fein erfühlt ist der Gedanke, das Werk im Chor der Seligen in den Frauenstimmen zart erklingen und in überirdische Höhen aufschweben zu lassen.

Nachdem so die Gedanken von der „Passion“ auf die Verklärung übergelenkt waren, bildeten der Schlußchor aus Bachs festlicher Kantate „Freue dich, erlöste Schar“ den abrundenden Beschluß des Konzerts.

Der Aufführungbericht muß sich notgedrungen kurz fassen. Er kann es auch mit der Feststellung, daß alle Kräfte unter Fritz Steins Leitung sehr schön musizierten, besonders der A-cappella-Chor, der in Kamin­skis Passion sehr schwierige Aufgaben zu lösen hatte. Die Schriftver­lesung erfolgte eindrucksstark durch Pastor Lorentzen. Die Gesangssolisten waren Lotte Lindemann, Erna Permin, R. Betke, w. Loll. Im Orchester tratenE. Träger, R. Silber­schmidt und J. de Jager solistisch hervor. Paul Becker.

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Siehe auch M—s.

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