Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 25.05.1932

Goethe-Ehrung der Kieler Lehrerschaft.

Am Montagabend hatte die Kieler Lehrerschaft zu einer großarti­gen Goethe-Feier aufgerufen. In Verbindung mit der Liedertafel „Germania“, dem Oratorienverein, dem Städtischen Orchester und einem Meistersänger, wie Karl Erb es ist, brachte der Lehrergesangverein unter Prof. Steins Leitung eine Reihe der charaktervollsten und selbständigsten Goethe-Kompositionen neuerer Zeit zur Aufführung. Der Eindruck war tief und aufwühlend, was jeder, der der anregenden Veranstaltung beiwohn­te, bestätigen kann. Die Veranstalter haben mit dieser ebenso wür­digen wie originellen Ehrung eine wertvolle Gabe zu den allgemeinen Goethe-Feiern hinzugefügt, eine Gabe, für die jeder von Herzen dankt, dem die Erhaltung und Pflege alt-weimarischen Geistes eine nationale Pflicht bedeutet.

Sollte einmal eine umfassende Geschichte der Goethebewegung im 19. Jahrhundert geschrieben werden, so würde der Musik in diesem Buche nicht das kürzeste Kapitel zufallen. Von Beethoven bis hin zu Wolf, Strauß und Pfitzner sind alle, Genies wie Talente, dem Goethischen Genius fronhaft geworden, eine unüber­sehbare Fülle von Werken jeder Gattung zeigt uns, wie stark der Eindruck des Dichters auf die Kunstverwandten gewesen ist.

Schon Beethoven bekannte freiwillig die dämonische Gewalt, die Goethes Dichtungen über sein eigenes Sinnieren und Schaffen behaupteten. Unablässig hat er mit ihnen gerungen im Fieber des Schaffens, und in diesem Kampfe mit ungleichen Waffen ist er selten Sieger geblieben. Nur einmal, beim „ Egmont“, gelang es ihm, Dichtung und Musik zu einen wie Leib und Seele. Und so machte seine „Egmont-Ouvertüre“ billig den Anfang des Programms.

Aber während Goethe und er, wie im Leben, so auch in der Kunst nur selten zusammenstimmen wollten, spielte das Schicksal Schu­bert die eigentliche Rolle des Goethe„betoners“ zu. Er schenkte uns die kongenialen Um- und Neuschöpfungen der Goethischen Lyrik. Aus dem unverwelklichen Kranze seiner Goethelieder spendete Karl Erb 9 Stücke: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“, den „Musensohn“, das „Heideröslein“, „Nähe des Geliebten“, „Rastlose Liebe“, „Jägers Abendlied“, „Wanderers Nachtlied“, „Ganymed“ und das „Schweizer­lied“. Eine vorbildliche Auswahl, deren überwiegender Teil die von Goethe allein gebilligte Form des Strophenliedes einnahm. Die Wie­dergabe war über alle Begriffe vollendet: nur wenige Sänger verste­hen heute noch, ein Lied im Geiste Goethes vorzutragen, d. h. den Anteil des Wortes an der Prägung der Melodie aufs genaueste fest­zulegen, so daß die Melodie bei jeder Strophe gleichsam neugeschaf­fen erscheint. So wirkte jedes Stück in sich „selig“ und unübertrefflich — zumal auch die außerordentlich feinfühlige Begleitung Prof. Steins die Gesangslinie aufs delikateste untermalte.

Schuberts schönheitstrunkener „Gesang der Geister“ und Brahms' herbe, rätselvolle Komposition des „Parzenlieders“ fielen den Chören zu. Das erste ist ein altes Repertoirestück des Lehrerge­sangvereins und wird jedesmal als ein besonderer Leckerbissen von Kennern und Liebhabern hingenommen — selten dagegen erscheint einmal das zweite auf einem Programm. Mit unerhörter Wucht sind die Worte der Iphigenie wiedergegeben, aus dem Munde des Chores klingen sie wie ein schauerlicher Fluch, dessen Kraft auch der wunder­volle D-Dur-Teil nicht zu lösen vermag. — Auch hier war die Ausfüh­rung schlechterdings meisterlich.

Leider fand Liszts „Faustsymphonie“ wegen der Länge des Pro­gramms nicht mehr die rechte Resananz. Und doch dürfte es wenig Werke geben, die, trotz aller Eigenheiten, so sehr von lauterstem Kunstwillen erfüllt sind wie dieses. Der ideale Schwung der „neudeut­schen“ Sturm- und Drangzeit spricht aus jedem Takte dieser Musik, und wenn auch die Instrumentalmusik heute andere Wege einge­schlagen hat als die, welche Liszt ihr wies, die wahrhaft noble, künst­lerische Haltung des Werkes, die blühende Erfindung, die geistreiche Verarbeitung der Gedanken und nicht zuletzt das brennende Kolorit werden kaum jemals ihre Wirkung auf empfängliche, unvoreingenom­mene Hörer einbüßen.

Mit Recht wurden Dirigent und Mitwirkende herzliche gefeiert. Dr. Engelke.

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