Philharmonischer Chor Kiel

Nordwest-Zeitung, 16.11.1993

Chor-Romantik mit vielen Facetten

Werke von Mendelsson und Zemlinsky bei den „Festlichen Chorkonzerttagen“

Von Werner Matthes

Oldenburg. Es bedarf offenbar erst eines Chorfestes, um hochran­gige, aber vom „normalen“ Konzertbetrieb sträflich vernachlässigte Kompositionen zutage zu fördern. Das 2. Konzert der „Festlichen Chorkonzerttage Oldenburg“ im großen Haus gab dazu erwünschte Gelegenheit; der Mut zum Ungewöhnlichen und Ungewohnten fand sich belohnt und gerechtfertigt durch überzeugende und sehr ausge­reifte Leistungen.

In das von Romantik und Hochromantik bestimmte Programm, mit Werken von Mendelsson und Zemlinsky, fügte sich der Beitrag des Motettenchors Friesoythe, die im letzten Jahr dort aufgeführte male­risch-bildkräftige Psalm-Kantate „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ op. 42, vorzüglich ein. Verfeinerte Lyrik und Glanz von Men­delssohns Werk hat Dirigent Werner Haselier auch diesmal trefflich zum Klingen gebracht. Manuela Ochakovski sang den Solopart mit angenehm klarem, im Verlauf des Werkes such seelisch vertieftem Sopran.

Faszinierende Beispiele spätromantisch-expressionistischer Psalm-Vertonungen lieferten die Beiträge des Städtischen Chores Kiel: der 13. Psalm op 14 und der 23. Psalm op. 24 von Alexander Zemlinsky. Imre Sallay, dem man eine ebenso packende wie technisch ausgefeil­te Wiedergabe verdankt, hatte mit gutem Grund die Werkfolge umge­stellt: Der spürbar an Mahler (8. Symphonie) orientierte Chorsatz und raffiniert farbige, impressionistisch getönte Orchestersatz des 23. Psalms erklingt — bei aller ins Luxuriöse gesteigerten Differenzierung — traditioneller als die Vertonung des 13. Psalms mit seinen bildhaft grellen und düster lastenden Farben, seiner hochkomplizierten Polyphonie.

Mendelssohns „Erste Walpurgisnacht“, das antichristliche Stück eines gläubigen (konvertierten) Christen nach Goethes ironisch und spöttisch gemeinter Dichtung, war der Beitrag des Oldenburger Sing­vereins unter Wolfgang Ott. Goethes Ballade, die mit dem Zusammen­stoß zweier Weltanschauungen auch das Problem eines unterdrück­ten Volkes (Druiden) und besetzten Landes thematisiert — mit einem vom Dichter erfundenen, ironisch und überlegen lächelnden Ausweg am Schluß —, wurde von Mendelssohn mit hymnischem Glanz, einer teils ins Phantastisch-Groteske gesteigerten Bildkraft (Hexentanz) vertont.

Chor und Orchester — der Chor sang inspiriert, klangschön und aussprachetechnisch präzise wie selten sonst — nahmen die vitalen, teils ins Furiose gesteigerten Energien des Werkes beim Wort und boten, namentlich in Momenten hymnischer Aufgipfelung, eine Auffüh­rung von überwältigender Intensität. Irene Pieters (Alt), Alois Riedel (Tenor) und Steven Bronk (Bariton) erfüllten die Solopartien angemes­sen stilvoll und überzeugend. Ein Sonderlob dem Oldenburgischen Staatsorchester, das alle nicht geringen Schwierigkeiten der einzelnen Werke mit hoher Klangkultur bewältigte.

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