Kieler Nachrichten, 07.12.1991
Zum 200. Todestag das Requiem in Kiel
Abgesang der Mozart-Konzerte?
Auch für die zweite Aufführung des Mozart-Requiems in Kiel gab es keine Karten mehr. GMD Klauspeter Seibel dirigierte sie in der Petruskirche im Rahmen der Mozart-Konzerte des Vereins der Musikfreunde, ein in mehrfacher Hinsicht gewinnbringender Zyklus, der — wie es im Augenblick aussieht — an der kulturpolitischen Blindheit ehrenwerter Sozialpolitiker zugrunde gehen wird.
Man spielte am Abend des 200. Todestags in Kiel wie an unzähligen Orten der Welt „das von Franz Süßmayr vervollständigte Requiem in der traditionellen Gestalt“ (so der Untertitel der Partitur in der Neuen Mozart-Ausgabe). Diese traditionelle Gestalt hat den Vorteil, daß auch ihre Ergänzungen aus dem Geist des 18. Jahrhunderts geschaffen sind. Und sie hat den wissenschaftlich eigentlich ganz unzulässigen Vorzug, uns liebgeworden zu sein.
Ob es eine große und vorbildliche Aufführung war, die in der Petruskirche erklang, sei einmal dahingestellt. Sie war in jedem Fall vom Ernst gemeinsamer Anstrengungen zum Nutzen eines großen Werks erfüllt. Die Schwierigkeiten, die ich auf meinem Platz wahrgenommen habe, lagen in der klanglichen Zusammenführung von Chor- und Orchesterstimmen, in der dynamischen Stufung des Klangs und, verbunden damit, in einer gewissen Sprödigkeit des Ausdrucks.
Eindrucksvoll indessen das dramatisch-unerbittliche Element, das für gewisse Teile des Requiems (Kyrie, Sequenz) charakteristisch ist. Hervorragend das Solistenquartett aus der Kieler Oper: Graciela von Gyldenfeldt mit dem Timbre und der Kraft eines genuinen Seria-Soprans; Gerda Kosbahn, empfindungsvoll mit warmem, kultiviertem Alt, Christopher Scholl, mozart-erprobt, die Rolle des Tenors im Ensemble klar und schön behauptend; Hans Georg Ahrens, souverän in der Baßpartie.
Imre Sallay — er sang selbst mit — hatte den Städtischen Chor Kiel auf seine bedeutende Aufgabe solide vorbereitet, so daß sowohl die akkordisch-flächigen Wirkungen wie das eigenwillig akzentuierte, kontrapunktische Geschehen nach Gestalt und Ausdruck unmißverständlich zur Geltung kamen. Es ist eine Frage des Maßstabs, ob man sich stärkere Differenzierung und geschmeidigere Stimmführung wünscht. Mozart, der so ungeheuer Anspruchsvolle, erlaubt ja in aller Regel nur Annäherungen ans Ideal.
Die beteiligten Philharmoniker gingen engagiert mit. Bemerkenswert vor allem die aufmerksamen Bläser und die wichtige Baßgruppe — Fundamente des eigentümlichen Klangs, der das Requiem auszeichnet. Fast unnötig zu sagen, daß Klauspeter Seibel am Dirigentenpult wie bei seinen Mozart-Einstudierungen in der Oper Kennerschaft mit Sensibilität und Mitteilungsfähigkeit vereinte.
Wieder trugen sich im Anschluß an die Aufführung Hunderte von Zuhörern ins lange Register der Kieler Bürger ein, die eine Verbesserung von Status und Ausstattung der Kieler Philharmoniker wünschen. Da dieser Wunsch bis jetzt nicht fruchtete, war dies wahrscheinlich das letzte Mozart-Konzert in Orchesterbesetzung, sieht man von der Mitwirkung des Kieler Kammerorchesters ab. Der VdM wird die Spielzeit voraussichtlich mit Kammer-Ensembles zu Ende führen. Danach gehen in der Petruskirche die Lichter aus. ROLF GASKA