Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 27.06.1988

Ein Resümee der ersten „Jahreszeit“

Haydn-Oratorium unter Leitung von GMD Klauspeter Seibel zum Abschluß der Konzertsaison in Kiel

Ach wie innig, ach wie sinnig schließt in diesem Jahr doch die Konzertsaison des Philharmonischen Orchesters der Stadt Kiel: mit Joseph Haydns Oratorium Die Jahreszeiten, bei dem sich der Philister so recht in Gott- und Selbstgefälligkeit erbauen kann. Selbst Haydn hat sich da nach vollbrachter Arbeit ziemlich skeptisch geäußert. Je­denfalls zeugt dieses sehr abgeklärte und sehr wienerisch-klassische Alterswerk eher von immensem handwerklichen Können als von geni­aler Inspiration und Impulsivität. Und vielleicht ist es gerade deshalb für die Interpreten ein Prüfstein ihres Handwerks. Klauspeter Seibel also zog — gemeinsam mit dem Städtischen Chor — in diesem letzten Konzert der Saison, ob beabsichtigt oder nicht, auch ein Resümee seiner ersten „Jahreszeit“ in Kiel. Ein beachtliches Resümee!

Joachim Kaiser hat einmal gesagt (und er hat wie immer recht), man könne die Jahreszeiten nicht „kritisch“ musizieren — will sagen: Man muß sich, welche Vorbehalte man auch immer hat, auf das Ethos, die Bildchen und den Verklärungszauber von Text und Musik einlas­sen. Und Klauspeter Seibel hält sich daran: Er holt heraus, was herauszuholen ist, sei es Ausdruck der Empfindung oder simple Malerei. Vor allem aber legt er, über die gar nicht zu leugnenden vordergründigen Effekte hinaus, eine intensiv und detailliert durch­gearbeitete Realisation der Partitur vor, der sich alle Beteiligten diszipliniert einfügen. Da ist offenbar sorgsam geprobt worden.

Ihm gelingt so Animierendes: In wirkungsvoller Dramaturgie kommen die Kulminationspunkte, die Chorfugen nimmt er meist ziemlich rasant, und für‘s Idyllische findet er (bisweilen sehr) liebliche Töne. Und er vermag all das durch schlüssige Übergänge zusammen­zuhalten. Nur manchmal, vornehmlich bei lautmalerisch-illustrativen Partien, scheint er über der Hingabe an den schönen Augenblick das Ganze ein wenig aus den Augen zu verlieren. Die reizvollsten Momen­te aber erlebt man dort, wo Seibel der unverblümten musikalischen Seligkeit ein bißchen beschwingte Grazie oder Nonchalance abge­winnt: Im Frühlings-Freudenlied (Nr. 8) oder im Allegro-Finale des Sommers (Nr. 18) beispielsweise.

Mindestens ebenso erfreulich wie diese Interpretation aber ist die daran abzulesende Bilanz der Orchesterarbeit des neuen GMD: Die Philharmoniker haben ihren Zusammenhalt wiedergefunden. Die Streicher artikulieren (bis auf kleinere Trübungen) subtil und sauber, die Soli in Holz und Blech (man hörte am Sonntag vormittag viele und schöne) sitzen, die Konturen sind bis auf einige untypische Ausnah­men klar. Seibel ist ein guter Koordinator — das zeigt sich auch daran, wie er den Chor einbezieht, wie er Einsätze und agogische Maßnah­men präzise vermittelt und kleinere Diskrepanzen schnell und sicher bereinigt.

Imre Sallay hat seinem GMD da offenbar sorgsam vorgearbeitet. Einige etwas wackelige Einsätze waren am Sonntag zu verzeichnen; sonst aber agiert sein Chor sicher und klangvoll, mit beachtlicher Prägnanz im Polyphonen und mit eindrucksvoller Wucht in den „Tutti“. Und oft waren es merkwürdigerweise gerade die schwierigen und die haarigen Partien, die besonders eindrucksvoll gerieten.

Und auch hinsichtlich der Solisten ist der Rezensent, er kann nicht anders, des Lobes voll. Einmal mehr bewies Hans Georg Ahrens über die wohlklingende Stimme hinaus eine geradezu überragende Kompe­tenz in der Gestaltung seiner Partie. Da kommt zur intelligenten Deklamation eine im Kleinen wie im Großen überlegene dynamische Gestaltung und eine Klarheit der Artikulation, die einfach vorbildlich ist. Ahrens weiß, was er singt; und er singt völlig unaffektiert und doch mit solcher Intensität und Schönheit, daß man selbst an Simons penetranten Nähkästchen-Weisheiten seine ungetrübte (musikali­sche) Freude hat.

Koichi Maedas Stärken liegen im Lyrischen, und genau hier ist er ja auch gefordert: Sein Tenor ist biegsam und geschmeidig, in der Mittellage wohl etwas eng, aber in der Höhe durchaus srahlend und kraftvoll. Und Maeda hat eben jene Einfühlung ins Sentimentale und Bukolische, ohne die es in dieser empfindsamen Partitur, man mag‘s mögen oder nicht, eben nicht geht. Das gleiche gilt für Valerie Errante, die eine zweifellos sehr sinnlich timbrierte, aber eben auch sehr sen­sibel gestaltete Hanne singt. Am Sonntag begann sie etwas spröde, wirkte auch in der Tiefe etwas stumpf, fand aber rasch zu Leuchtkraft, Schönheit und — etwa im Lied vom ehrenvoll durchtriebenen Mädchen — zu bezaubernder Anmut.

Viel Beifall, obwohl es einige Zuhörer mit nicht unbedingt höflicher Eile aus dem Saale drängte. DETLEF BRANDENBURG

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