Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 17.11.1986

Klanglich-geistiges Zentrum ist der Chor

Kieler Sinfoniekonzert mit Beethovens „Missa solemnis“ unter Hans Zanotelli

Langanhaltender Beifall, in den sich Bravorufe mischten, beendete die Aufführung der Missa solemnis gestern vormittag im Kieler Schloß. Das Werk ist groß, die Aufgabe schwer. Um so besser, daß die Arbeit vieler Wochen sich nicht auf eine einzige Wiedergabe beschränkt. Heute abend, wenn Beethovens Messe-Vertonung noch einmal erklingt, ist sicher auch die Überspannung gewichen, die eine solche Konzertsaal-Premiere mit sich bringt.

GMD Hans Zanotelli, der so zurückgenommen wirkt, löst erstaun­liche Wirkungen aus. Die Missa gewinnt unter seiner Leitung eine enthusiastische Hochstimmung, die Beethovens subjektiv getöntem religiösem Bekenntnis unmittelbare Glaubwürdigkeit verleiht. Der Anfang mit den Orchesterakkorden klingt andächtig-verhalten, fast ein wenig unsicher. Doch sobald die Singstimmen einsetzen, hat die Aufführung ihr klanglich-geistiges Zentrum gefunden. Es ist eine zur Transzendenz hinwollende Bewegung, die den Höreindruck im Kyrie wie im Gloria und im Sanctus bestimmt. Das Credo dagegen zieht seine Kraft aus dem Hineinlauschen ins Wort. Wunderbar gelingt das Et in­carnatus est, jene wenigen Takte, in denen alte leuchtende Tempera-Bildtafeln von Mariae Verkündigung lebendig zu werden scheinen. Am weistesten aber spannt das herrliche Agnus Dei den Ausdrucksbogen. Ein Satz aus der Seele gesungen: die ruhige Baßstimme am Anfang; dann das Paar Alt unde Tenor, schließlich das Crescendo zum Miserere nobis, das in das denkbar beunruhigendste Friedensgebet mündet. Ins Dona nobis pacem fahren Trompeten und Pauken dramatisch hin­ein, Kriegslärm von ehedem, doch immer noch aufwühlend genug.

Der Städtische Chor, verstärkt durch Mitglieder des Theaterchors, steht im Zentrum. Zanotellis Chordirektor Imre Sallay hat vorzügliche Vorarbeit geleistet. Wenn man bedenkt, wie sparsam der GMD mit seinen Dirigiergesten ist, so wird die Bewunderung für die Chorlei­stung um so größer. Die meisten Einsätze, darunter heikle, kamen am Sonntag unproblematisch. Exakt liefen die Achtelketten. Und bis ins Detail vorgefeilt hat Sallay offenbar die dynamischen Wellen der Partitur, Ausdruck eben jenes Verlangen nach dem Höchsten, das Beethovens eigene innere Dynamik dem Werk vorgibt. Ein schöner, fester, modulationsfähiger Chorklang verleiht dieser Missa Licht.

Dazu kommt ein Vokalquartett, das im Solo und im Ensemble ebenso sicher wie inspiriert wirkt. Die hellen Spitzentöne kommen von der Sopranistin April Evans-Montefiori, deren kraftvolle Stimme sich sehr gut in ihre Aufgabe fügt. Florentina Giurca, Gast aus Osnabrück, gestaltet mit schönem Timbre die dankbare Alt-Partie. Verläßlich dient Wolf-Hildebrand Moser, der Tenor, dem Werk, und nicht anders der ruhig und ausdrucksvoll singende Baß Hans-Georg Ahrens, der seinen Anteil an der Beethoven-Messe in Kiel schon mehrmals eindrucksvoll eingebracht hat.

Auch der instrumentale Teil erreicht eine Interpreten-Qualität, die den Hörer froh stimmt. Über ein paar Verständigungsschwierigkeiten sieht man gern hinweg, wenn der Klang so offensichtlich mit Ambition geformt, wenn das Werk mit so hörbarem Engagement angegangen wird. Erwähnenswert die hervorragende Auspendelung der Lautstär­ken, so daß den Singstimmen nichts genommen und den Instrumen­ten genug gegeben wird (was jedenfalls für den Mittelblock im Schloß gilt). Solistisch tritt Konzertmeister Gábor Csapó im Benedictus hervor, eine feingeschwungene Klanglinie zeichnend, die, wie es sein soll, irdisch-unirdisch gegenwärtig ist.

Am Sonntagmorgen: große Reverenz vor allen Mitwirkenden. ROLF GASKA

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