Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 20.12.1982

Ein abgemagerter Messias

Das von Mozart bearbeitete Händel-Oratorium in Kiels Nikolai-Kirche

KN: ENNO NEUENDORF   Kiel

Das zweite Konzert der Mozart-Reihe des Vereins der Musikfreunde hielt eine Aufführung bereit, die um ihrer Besonderheit willen gewiß größtes Interesse beanspruchen konnte: Georg Friedrich Händels Oratorium „Der Messias“ in einer Bearbeitung, die Wolfgang Amadeus Mozart im Jahre 1789 in Wien für ein Konzert in der Wohnung eines adeligen Cavaliere erstellt hatte. So war es nicht erstaunlich, daß in der St.-Nikolai-Kirche, wo diesmal der über 100 Mitglieder starke Städtische Chor Kiel im Altarraum sich aufgebaut hatte, jeder Platz genutzt werder mußte , um den Besucherandrang aufzufangen. Kiels Generalmusikdirektor Klaus Weise stand am Dirigentenpult, das Philharmonische Orchester und Sänger und Sängerinnen seines Hauses waren die weiteren wichtigen Mitstreiter dieses mozartischen Händel-Abends.

Denn ganz nach Mozart und seiner Zeit klang vor allem die instru­mentale Einkleidung dieses hochbarocken Werks, das erst 1772, 30 Jahre nach seiner bejubelten Uraufführung in Dublin, auch im deut­schen Sprachraum, nämlich in Hamburg, Händels früherer Wirkungs­stätte, später auch in Weimar (1781), Berlin (1786), Leipzig und Breslau begeisterte Zuhörer fand. Mozarts Bearbeitung war ebenso wie eine von Mendelssohn und Robert Franz in Halle bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Grundlage der Musizierpraxis, bevor dann wieder auf das authentische Material zurückgegriffen werden konnte.

Was gegenüber dem Barockorchester hier schmerzlich vermißt wurde, war der Glanz der hohen Trompeten — die virtuose Kunst des Clarinblasens beherrschte zu Mozarts Zeit niemand mehr. Statt dessen färbten und füllten jetzt zusätzlich vor allem Flöten, Klarinet­ten, Hörner und Posaunen das Orchester, meist in Begleitung von Chorstimmen. Auch die Orgel fehlte. Bei den Rezitativen hörte man darum Klaus Weises silbrige Arpeggien aus dem Cembalo.

Im ganzen entsprach Weises Aufführungsstil einer auch heute wieder zeitgemäßen schlanken, eleganten, im Rhythmus federnden und damit vom monumentalen, eher schwerfälligen Gestus früherer Zeiten sich distanzierenden Wiedergabe des Oratoriums. Trugen schon die wenigen Umarbeitungen, Kürzungen oder Auslassungen Mozarts (ein Chor und eine Arie) zur Straffung des Werks bei, so hat Klaus Weise jedoch der Streichung vieler weiterer Chöre und einer Alt-Arie des Guten entschieden zuviel getan. Im Programmblatt, das zum Bedauern mancher Besucher kein Libretto enthielt, war ein Hinweis darauf nicht zu finden, auch nicht darauf, daß das berühmte „Hallelujah“ nicht von Mozart, sondern von Weise in amerikanischer Art und um des musikpsychologisch durchaus verständlichesn Effekts willen, ans Ende des Oratoriums gesetzt wurde. Ein solch großartiges Glaubenszeugnis wie die „Amen“-Fuge des Chores wurde dafür geopfert. War dies jene Abmagerungskur wert, die den „Messias“ auf gut eineinhalb Stunden reduzierte?

Was von den Ausführenden dennoch geboten wurde, war aller Bewunderung wert. Der Städtische Chor, den Georg Metz einstudiert hatte und der in diesen Wochen weitere umfangreiche Aufgaben bewältigt, fand sich auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit, in homo­phonen Partien so überzeugend und nicht übertrieben lautstark wie gewohnt und sicher im Netzwerk der Polyphonie. Teilweise ließ Weise originale Chorpartien auch von dem Vokalistenquartett singen: Ein reizvoller Kontrast auch im Sinne klassischer Sakralkunst. Als Solistin hatte die Ungarin Hedi Klebl eine Sternstunde: Nicht nur rein tech­nisch brillierte sie mit einem lerchenhaften, leicht und locker geführten Sopran, sie fand auch feinste auf den Text bezogene emotionale Schwingungen, dynamische Nuancen und makellose Phrasierungen. Jonathan Mack setzte seine meist instrumental gehaltene Tenorstim­me ebenfalls flockig und leichtgewichtig ein, schwierige Coloraturen nicht verwischend, mit „tönebrechendem“ Ausdruck in besonderen Augenblicken. Die amerikanische Altistin Nadine Asher wirkte eher wie eine „Institution“, indem sie pflichtschuldigst rollte, gurgelte und sang, was zu singen war, während Bassist Hans Georg Ahrens klar artikulierend große Beweglichkeit und schöne Portamenti an den Tag legte.

Fazit: Die nächste Aufführung des „Messias“ sollte vollständig sein, dem Original folgen, die hier gewählte flüssige Art der Interpretation jedoch beibehalten.

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