Kieler Nachrichten, 08.03.1982
Empfindsame Botschaften
6. Kieler Symphoniekonzert mit Siegfried Köhler als Gastdirigent
KN: ROLF GASKA Kiel
Empfindsame Stücke, empfindsame Botschaften von Debussy, Liszt und Franck: Siegfried Köhler, Generalmusikdirektor des Hessischen Stadttheaters Wiesbaden, brachte sie ins 6. Kieler Symphoniekonzert ein. Köhler ist ein sehr erfahrener Musiker, wie man in seiner Vita nachlesen kann. Er versteht sein Handwerk perfekt, und die Philharmoniker setzten denn auch bereitwillig seine Wünsche um. Höhenflüge fanden nicht statt. Wohl aber entlockte der Gast mit Bewegungen, die auf Subtilität drängten, viel träumerischen Schönklang aus dem Orchester, so daß sich mancher auf Wolken glaubte, ja daß sich — um Webers Agathe ein wenig zu persiflieren — schier der Schlummer nahte.
Übrigens war das Schloß nicht ganz so gut besucht wie sonst. Lag es an Weises Abwesenheit? Am Programm? An der Tatsache, daß kein Solokonzert angesetzt war? Zum Programm wäre anzumerken, daß es unkonventionell insofern war, als es mit Claude Debussys „Trois Nocturnes“ und Franz Liszts sinfonischer Dichtung „Orpheus“ Kompositionen hervorholte, die zu den vielen Desiderata, den „Fehlanzeigen“ des Kieler Konzertlebens der letzten zwanzig Jahre gehören. So etwas aufzuführen, damit man es „live“ kennenlerne und sich darüber eine Meinung bilde, ist doch viel sinnvoller als die Repetition des Immergleichen.
Debussy schreibt in seinen „Nocturnes“ Naturlyrik, wobei seine Metaphern teils aus dem Schauen selbst, teils aus dem Bildervorrat der Vergangenheit gewonnen sind. Sehr sanft und friedvoll zeichnete das Orchester die schwebenden Stimmungen der „Nuages“, die aufscheinenden und verschwimmenden Konturen der Wolken, ihre wechselnde Färbung. Glänzender, doch wie in eine zauberische Ferne gerückt, danach die „Feste“, und sehnsüchtig-lockend schließlich das „Meeresbild“ mit dem Vokalisen-Gesang der Sirenen, die — in Gestalt der Damen des Städtischen Chors — zwar nicht jeden einzelnen Odysseus im Auditorium betörten (wegen einiger getrübter Harmonien), aber dem Stück insgesamt viel gechmeidigen Glanz vermittelten.
Von Sirenen zu Orpheus, das bedeutete hier einen Schritt zurück. Liszts sinfonische Dichtung, aus einer Ouvertüre hervorgegangen, malt — gemessen an Debussys Nachtstücken — in einfachen Farben arkadische Stimmungen. Eine Fanfare, ein Harfen-Arpeggio kündigen den Sänger an, und dann entfaltet sich liedhaft eine Art Charakterbild des Sängers Orpheus, wie ihn Liszt verstand. Siegfried Köhler definierte den „Orpheus“ als ein Stück romantischer Empfindsamkeit, ein wenig verzärtelt vielleicht, doch überhaupt nicht pathetisch oder gar bombastisch. Liszt — das zeigte schon die „Faust“-Sinfonie — sucht ja immer wieder die kammermusikalische Wirkung, die Rückkehr aus dem Schauen ins Sinnen, und dem wurde hier zweifellos und in schönster Weise entsprochen.
Auch César Francks dreisätzige Sinfonie kennt die Reduktion des Klanges auf die Sensibilität der einzelnen Stimme. Vor allem den Holzbläsern schreibt der Franzose Weisen, in denen romantische Melancholie sich aussingt. Berlioz und Wagner konnten es nicht besser. Aber Franck mag auch die kraftvolle Gebärde, den Gefühlsausbruch, das Gefecht mit Posaunen, Tuben und Pauken. Entsprechend weit sind die dynamischen Parameter gespannt: vom dreifachen Piano bis zum doppelten Forte. Freilich verschiebt sich’s gern um einen Grad; denn lauter ist leichter. Und so geschah es auch hier. Doch sieht man von ein paar Grobheiten ab, so bleibt eine Interpretation von hohem Präzisionsgrad (ein Bravo den Streichern), von solistischer Noblesse (siehe oben) und zum Teil bestechender Klangqualität, für die sich im Publikum viel beifallsfreudige Zustimmung fand.