Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 17.03.1976

Wenig Lust an der Genesis

Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ im Kieler Schloß

Von Susanne Materleitner

Zwölf Jahre hat es gedauert, ehe man sich dazu entschloß, Haydns schönes, von unschuldig-optimistischem Gott-Welt-Verständnis strah­lendes Oratorium wieder (als 6. Sinfoniekonzert der Saison) in Kiel aufzuführen. Zwölf Jahre — und doch nicht lange genug für jene, die sich noch der inspirierten Aufführung von 1964 unter Peter Ronnefeld erinnern, bei der sich der Städtische Chor in eitel Cherubim und Sera­phim verwandelt zu haben schien. Diesmal, reicher an Zahl, durch den Theaterchor verstärkt (was in diesem Fall durchaus nicht nötig war), ließ sich der Chor mit den „Söhnen Gottes“ nicht eben leicht identifi­zieren. Bei aller Schönheit der Stimmen fehlte es an Homogenität, gab es Intonationstrübungen, vermißte man vor allem innere Beteiligung. Die vorgeschriebene Dynamik genau zu bringen, die oft schwierig schnellen Tempi präzis durchzuhalten (Einstudierung: Peter Heinrich) genügt hier nicht. Jubel ist nicht mit dem Metronom meßbar — und von der immensen heiter-frommen Lust an der Schöpfung Himmels und der Erden, die das Werk durchtränkt, war an diesem Abend wenig zu spüren.

Der Gastdirigent Jürgen Jürgens, Leiter des renommierten Hambur­ger Monteverdi-Chores, tat sich nicht leicht mit dem großen Apparat, hatte alle Hände voll zu tun, um Orchester, Chor und Solisten sauber zu koordinieren (was nicht immer restlos gelang), erreichte auch „richtige“ dynamische Differenzierungen — doch der gewaltige C-Dur-Akkord, der das Licht über die Erde gießt, war halt weiter nichts als ein großes Fortissimo. Basta. Und der bezaubernd naive instrumen­tale Realismus Haydns, der die Tauben trillernd in Terzen turteln und das Gewürm auf dunklem Orchester-Untergrund dahinkriechen läßt, blieb sachliches Referat, ohne beseeltes und beseligendes Entzücken am Detail, obgleich die Kieler Philharmoniker mit hohem Anstand musizierten.

Auch das Solistenterzett war nicht gerade ideal besetzt. Zwar sang Enriqueta Tarrés die Sopranpartie mit kräftiger und geschmei­diger Eleganz (wenn auch nicht mit der schwebend leichten, lyrischen Wärme, die man sich dafür wünscht), doch dem Baß, Erich Wenk, man­gelte nicht nur Fülle der Tiefe, sondern auch Sauberkeit der Intona­ti­on, und Kurt Meiers Tenor zeigte weder Glanz noch spezifische Farbe.

Haydns Lobgesang auf die Genesis ist lang. Immerhin: So lang wie diesmal ist er mir trotz korrekter Tempi nie erschienen. Dennoch gab es viel Applaus und eine große Verbeugungs-Cour schon vor der Pause. Ganz wie in der Oper, nur nicht so passend.

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