Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 02.04.1969

Festivalbeitrag von 1891

Dvoraks „Requiem“ unter Gerhard Mandl im Kieler Schloß aufgeführt

Viel ist in Droraks Briefen die Rede vom Erfolg, und manch einer merkt auf, hört er im Zusammenhang mit sakraler Musik von solch weltlichem Streben. Mit einer Messe in D wollte der Tscheche 1889 nach dem wirkungsvollen „Stabat mater“ sein Publikum gewinnen; mit seinem „Requiem“ erreichte er 1891 beim Birmingham-Festival dieses Ziel. Der Festspielbeitrag wurde jetzt im siebten Konzert des VdM und der Stadt Kiel wieder aufgeführt, zu einer Zeit, in der die Verwunde­rung darüber nachgelassen hat, daß sich einer um den Erfolg schert, wo es um „letzte Dinge“ geht. Nüchtern sieht man heute im „Requi­em“ eine weltliche Kunstübung, deren musiksoziologische Grundlage die seit den Tagen Zelters immer zahlreicher auftretenden großen Chorvereinigungen waren und noch sind. Wer solche Einschätzung, die dem individuellen Bekenntnis des Komponisten im Werk keinen Abbruch tut, in aller Sachlichkeit teilt, der ist dann auch im Recht, wenn er im Konzertsaal — wie es Brauch ist — applaudiert.

Beifall war in jedem Sinne angebracht, für Dvorak und für seine Interpreten. Die Partitur ist vielgestaltig und aller Beachtung wert. An Wagners chromatischer Tonsprache orientierte Teilstücke beschwören Todesnähe, führen zu einer der Selbstbesinnung geweihten Grund­haltung, die zwar nicht ständig gegenwärtig bleibt, aber doch immer wieder aus dem Kontext aufscheint. Ihre eindringlichste Prägung erfährt sie am Schluß des Werkes, im „Pie Jesu“ und im „Agnus Dei“, ganz ungewöhnlichen, ja unvergleichlichen Eingebungen, die ebenso wie die seltsam zerbröckelnden letzten Takte Verrätselung eher als christlichen Trost assoziieren.

Daneben findet sich viel kunstvolles Spiel mit Kombinationen von Chor, Solisten und Orchesterstimmen, das Dvorak als glänzenden „Instrumentator“ ausweist, entdeckt man Naiv-Illustratives wie die Streicher-„Flammen“ im „Confutatis maledictis“, wird man mitgerissen von den großen Entfaltungen des gesamten Apparats, die jedesmal in einen gewaltigen Dur-Akkord münden. Schließlich fehlt auch nicht das altväterische und nationale Element, die grandiose Fuge auf ein mittelalterliches böhmisches Kirchenlied.

Indes — die formale Spannweite präsentiert sich am Ende als Einheit. Und nicht zuletzt darin darf man die künstlerische Legitimität des „Requiems“ sehen.

Unter Gerhard Mandl gewannen die Intentionen des Komponisten klaren Umriß. Was der Aufführung an instrumentalem Feinschliff im Detail gelegentlich versagt blieb, machte die Disposition der Sing­stim­me leicht wett. Vorzüglich aufeinander abgestimmt war das Solisten­quartett mit Victoria Bronis (Sopran), Gudrun Volkert(Alt), Martin Häusler (Tenor) und Guillermo Sarabia (Baß), alle von den Bühnen der Landeshauptstadt, alle von der Oper geprägt, aber dennoch ohne Abstrich fähig, sich dem oratorischen Charakter des „Requiems“ anzu­passen und seine Gehalte sublim zu erfassen.

Die Sänger auf der Orgelempore — Städtischer Chor Kiel und Theaterchor — waren von Norbert Scherlich sorgsam vorbereitet worden. Die einzelnen Stimmgruppen fanden sich so perfekt zu­sammen wie der vokale Klangkörper insgesamt. Rhythmische und dynamische Feinheiten, Sicherheit, Reaktionsvermögen bei den Einsätzen sicherten dem Chor alle Anerkennung und der Aufführung auch von dieser Seite einen hohen Rang. ROLF GASKA

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