Philharmonischer Chor Kiel

Flensburger Tageblatt, 06.10.1967

Die „Neunte“ als Supersinfonie

Nach Flensburg und Sonderburg auch in Hamburg und Kopenhagen

Das erste Konzert Heinrich Steiners mit dem Nordmark-Sinfonie-Orchester zu Beginn der Spielzeit 1967/68 war mehr als ein rein Flensburger Ereignis. Das überwiegend sinfonisch engagierte Publi­kum der Fördestadt ahnte Großes, und soweit nicht durch Abonne­ment seines Stammplatzes sicher, machte es einen Ansturm auf die Kasse wie nie zuvor. Beethovens „Neunte“, die Königin aller Sinfonien, meist als dekorativer Abschluß einer über den Winter gezogenen Reihe gewählt, stand diesmal an ihrem Anfang. Eine Supersinfonie kraft ihres kantianischen Inhalts und Postulats wie dank ihrer gigan­tischen Konstruktion, machte in ihrer Ankündigung auf eine unge­wöhnliche Besetzung aufmerksam, auf eine Superbesetung. Beträfe dies nur das Optische, das für sich genommen durchaus eindrucksvoll war, wäre der Bezug zu Massensuggestion und Superlativismus unserer Zeit zu diskutieren. Aber solche Bedenken wurden ausge­räumt einmal durch die Kenntnis der oft bewährten Qualität der drei verbündeten Chöre wie andererseits durch die Leistung. Und die war eminent.

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Auf dem an sich schon großen, diesmal beträchtlich erweiterten Podium des Deutschen Hauses stellten sich für Schillers „Ode an die Freude“ zum 60 Stimmen starken Städtischen Chor Flensburg der (von Norbert Scherlich einstudierte) Städtische Chor Kiel mit 80 Mit­wirkenden auf und, von jenseits der deutsch-dänischen Grenze, die Nordschleswigsche Musikvereinigung mit nicht weniger als 140 Sän­gerinnen und Sängern, von Hanskarl Michalik (Apenrade) ton- und taktfest gemacht. Sodann saß als weiterer Beweis des bei politischen Deklarationen immer wieder beteuerten Vorbildes besten Einverneh­mens der beiden Nachbarstaaten „Sønderjyllands Symfoniorkester“ mit dem „Nordmark-Sinfonie-Orchester“ (wieder einmal mehr) zu gemeinsamem Kunstunternehmen zusammen. Vorgestern abend war es in Flensburg (worüber hier berichtet wird), und gestern wiederhol­te sich dasselbe in der Freiheitshalle zu Sonderburg, mit 80 Musikern insgesamt, ein herrliches, prächtiges Orchester zum herrlichen, prächtigen Chor.

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Die Gründe für unsere Freude über soviel Einvernehmen sind aber noch nicht verbraucht. Es kommt, diesmal vom Programm her, noch hinzu, daß Generalmusikdirektor Steiner den Abend mit einer Sinfonie eines bei uns weithin unbekannten dänischen Komponisten eröffnete, und zwar mit der siebenten von insgesamt dreizehn von Rued Imma­nuel Langgaard, Sohn eines königlichen Kammermusikus und Kompo­nisten, 1893 in Kopenhagen geboren, 1952 in Ripen gestorben, an dessen Dom er zwölf Jahre lang die Orgel spielte.

Wäre Langgaards „Siebente“ nicht schon 1935 in der dänischen Hauptstadt gedruckt worden, könnte man sich durchaus vorstellen, sie spiegele nicht nur eine gute Kenntnis der deutschen wie der skandinavischen Romantik wider, sondern auch Eindrücke, die einem die Landschaft vom Turm des nach rheinischem Modell erbauten Ripener Doms im „Vier-Richtungs-Blick“ zu geben vermag. Langgaard begibt sich in kein protagonistisches Gefilde, darin die Avantgardisten ihre Scharmützel ausfechten und protestieren; er ist brav, harmlos, tüchtig, und wenn auch kein Bruckner, verrät er wie dieser immer wieder seine Herkunft von der Orgel, das zeigt sich schon im ersten Satz, der nichts anderes ist als ein kurzes, prägnant formuliertes und — sehr ordentlich instrumentiertes Präludium. In seinen zweiten Satz blinzelt Tschaikowsky hinein, es gibt ein freundliches Scherzo darauf und ein „Fastoso allegro“ (fastoso heißt prunkvoll), Berwald und Gade gaben im Geist ihren Segen dazu, Heinrich Steiner konzentrierte durch Striche einiges und verlieh der Sinfonie dynamische Impulse. Daß er auch dieses Werk auswendig dirigierte, beweist die Gründ­lich­keit, mit der er sich für Ruel Langgaard einsetzte. Ein Achtungserfolg war's immerhin, den er für ihn erzielte, und manchen gefiel auch das mit Sorgfalt gespielte Stück.

Nach dieser Einstimmung nun die „Neunte“, die so oft gehörte, so oft besprochene, doch immerzu neue Neunte, die stete Bemühung aller Dirigenten, das Non-plus-ultra auch des Publikums. Steiner legte für den ersten Satz ein ideales Tempo fest, nicht zu schnell, etwas majestätisch, dabei ein feines Pianissimo als Ausgang zur bald gefor­derten dynamischen Steigerung und motivisch markanten Präzision. Bei aller Kraft des Klanges wachte der Dirigent über die Deutlichkeit seiner Anteile; die Holzbläser brachten die scharfen Punktierungen am besten. — Wie gestochen kam der zweite Satz, die rhythmischen Feinheiten und Ordnungen exakt befohlen und befolgt. Der dritte Satz könnte noch gewinnen, wenn er im ganzen noch etwas langsamer genommen würde, den Beginn des „unendlichen“ Melodiethemas bereits so inbrünstig wie es im Verlauf deutlich wird, in der Orna­mentik ergiebiger, d. h. schärfer artikuliert und interpunktiert nach klassischem Gesetz, fester gefügt dadurch im logischen Bezug der einzelnen Instrumente zueinander.

Zu einem wahren Fest aber gedieh der Schlußsatz mit Chor und Solisten. Hierbei geschah Grandioses. Die drei Chorvereinigungen bildeten in der Tat ein imponierendes Ganzes durchaus ohne Fehl' und Tadel. Man muß dabei an die Ausgewogenheit und Treffsicherheit der Stimmen denken, an ihren nahtlosen Kontakt mit dem Orchester oder an das musikalische Verständnis dieser Schar reiner Idealisten überhaupt. Wie auch früher schon, besetzte GMD Steiner die Solisten­rollen mit Mitgliedern der Flensburger Oper. In diesem Jahr ist man wieder besonders gut dran: Werner Gröschel erzwang konzentrierte Aufmerksamkeit bereits auf sein mit Macht vorgetragenes Bariton-Rezitativ, auch Susan Leider (Sopran), Esther Admon (Alt) und Michael Rossos (Tenor) erwiesen sich in diesem schweren konzertanten Sonderauftrag als zuverlässig, tüchtig, ja durchaus vergleichsstark mit manchen Spezialisten. Zum Schluß gab es für alle einen Triumph wie selten, Heinrich Steiner stand im Mittelpunkt einer wahren Ovation.

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Diese „Neunte“ verdient weitere Verkündigung. Zwei Mäzene, Hans Redlefsen, Satrup, und Norbert Schierning, Flensburg, ermög­lichen dankens- und rühmenswert Gastkonzerte mit ihr in Hamburg und Kopenhagen. Dr. Wilhelm Hambach

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