Philharmonischer Chor Kiel

Volkszeitung, 04.03.1964

Rendsburger Musikverein e. V.:

„Land zwischen den Meeren“

Zur Uraufführung der „Rendsburg-Kantate“ von Hans-Joachim Marx

Verkehrstechnisch betrachtet bildet die Stadt Rendsburg den Nabelpunkt Schleswig-Holsteins. Die Europastraße Nummer 3 litt hier ehemals gewissermaßen an einem Nabelbruch. Er wurde durch die Operation „Kanaltunnel“ erfolgreich behoben. Europa-Verkehrsexperte Bürgermeister Beisenkötter fand dies Ereignis bedeutend genug, um es im Liede zu verewigen. Seinen Standpunkt, daß nicht nur Navigare, sondern auch Cantare necesse est, konnte er in Stadtparlament mit Erfolg vertreten. Man beauftragte einen dichtenden Studienrat und einen komponierenden Musikdirektor mit der Schöpfung einer „Rendsburg-Kantate“. Sie sollte alsbald produzieret und zur feierlichen KJanaltunneleröffnung reproduzieret werden. Aber es ging den Kanaltunnelsängern wie seinerzeit dem Suez-Kanal-Eröffnungskomponisten Verdi: die „Aida“ und die „Rendsburg-Kantate“ wurden mit einiger zeitlicher Verzögerung aufgeführt.

*

Die Schöpfer der „Rendsburg-Kantate“, studienrat Dr. Otto Heinlein und Musikdirektor Hanz-Joachim Marx, waren sich klar darüber, daß sie keine interkontinentale „Großstadtmelodie“ zu erstellen hatten. In produktiver Zusammenarbeit einigten sich Textdichter und Komponist auf wenige thematische Gedanken, die ungefähr der geographisch-bedingten, historisch-gewachsenen und allgemein-menschlichen Situation der Stadft Rendsburg entsprechen. Das Ergebnis ist ein Text, der schlichte Gedanken in musikalisch vorgeformte, klingende Zeilen faßt und eine Musik, die Stimmungsgehalt und Gefühlswerte der Verse melodisch vertieft oder dynamisch intensiviert. Das ganze ist ein zeitgenössisches Chorwerk, das unter seinem künftigen Titel „Land zwischen den Meeren“ den Anspruch erheben darf, weit mehr zu sein als eine eitle lokale „Nabel-Schau“.

*

Das fast vierzig Minuten dauernde Chorwerk umfaßt fünf thematische Hauptteile (Land zwischen den Meeren, Ich bin die Stadt, Ein Kreuz liegt ausgebreitet, Windstärke 11, Groß ist der Mensch) die durch Zwischenspiele, in denen meist von dem letzten, vorausgegangenen musikalischen Thema zum nächsten übergeleitet wird, verbunden sind. Hans-Joachim Marx, der seine Arbeit als solide „Gebrauchsmusik“ bewertet wissen möchte, schrieb keine Musik, die ins Auge der modisch-orientierten Fachexperten sticht, sondern mitten ins Herz der naiven Hörer geht. Seine melodischen Erfindungen steigern sich über solide Handwerksarbeit hinaus, zuweilen (z. B. in der „Frauenklage“) zu echter, starker Inspiration, der in diesem Falle auch eine großartig-gekonnte, instrumental gleichwertige Introduktion vorausgeht. Bei aller konventionellen (zuweilen simplen Sequenzen-) Technik, mit der Marx die Singstimmen und das Orchester handhabt, ist ein individueller, über solche freiwillige Reglementierung hinausweisender Zug unverkennbar. In der Beschränkung auf den spezifisch gearteten Auftrag zeigt sich ein handwerklicher Meister, der größerer, ungebundenerer Schöpfung fähig sein dürfte.

*

Die Aufführung durch das verstärkte Sinfonieorchester der Landesbühne, den Städtischen Kieler und einen Rendsburger Chor (mit Günter Ott am Klavier und Horst Müller-Olm an der Orgel) war unter ihren technischen Voraussetzungen eine respektable Leistung. Was in der instrumentalen Besetzung oder in der chorischen Präzision nicht ganz befriedigte, wurde aufgewogen durch die unbekümmerte Spontanität des Vortrags und die unmittelbare Spannkraft, die der Komponist als Dirigent seinem Werk mitzugeben vermochte. In den Solopartien waren Margot Rauchmann (Sopran) und William Ray (Bariton) in ihrem künstlerischen Rang zwar recht unterschiedliche, aber werkgerechte Interpreten.

*

Der Uraufführung der „Rendsburg-Kantate“ ging Anton Dvoraks Sinfonie e-Moll (Aus der neuen Welt) voraus. Der Zwang, ein mehr oder minder zufällig zusammengesetztes Orchester straff in den Griff zu bekommen, mag die rhythmischen Verhärtungen des ersten Satzes und die verschwimmenden Konturen des zweiten Satzes in etwa erklären. Die manchmal reichlich „preußisch“ anmutende Dirigentenmentalität von Hans-Joachim Marx reduziert die schwelgerische slawische Klangwelt immer wieder allzu direkt auf ihre nüchternen kompositorischen Strukturen. Solche strenge, formale „Durchleuchtung“ des Werkes erweckt nur geteilte Begeisterung.

*

Das lobenswerte Beispiel, das Rendsburg mit seiner Auftragsarbeit gab, wäre besserer Berachtung wert gewesen. Immerhin durften die Initiatoren und die Ausführenden den herzlichen Beifall der heimischen Hörer mit berechtigtem Stolz entgegen nehmen. A. K.

*

Siehe auch -es oder Bruno Meyer

Zuletzt geändert am