Kieler Nachrichten, 21.06.1955
Mitreißendes Chorkonzert
Honeggers „König David“ in zwingender Aufführung
Der Kieler Theaterchor in Verbindung mit dem Städtischen Chor und dem Städtischen Orchester eröffnete die musikalischen Leistungen der Kieler Woche mit einer überaus eindrucksvollen Wiedergabe des großen „Sinfonischen Psalms“ auf den biblischen „König David“ von Arthur Honegger. Dieses in sich spannungsreiche und vielfältige Werk steht seit seiner Uraufführung im Jahre 1921 immer wieder auf den Programmen der gesamten Kulturwelt. Und wenn uns nicht alles täuscht, dürfte es sich noch lange dort halten. Immer noch hat es den Klang der Gegenwart und Aktualität, zumal wenn alle Stilelemente so plastisch und geballt kommen wie unter dem Stab von Georg C. Winkler, der gegen Ende des dritten Teils auch die noch Zögernden und Zaudernden voll überzeugt und bezwungen hatte.
Honegger ist der Mann der Kontraste. Von seiner „Symphonie liturgique“ und dem ekstatisch katholischen Mysterienspiel „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ kennen wir ihn auch in Kiel als suchenden Gläubigen, als Musiker der Innenschau. Paul Belker brachte bald nach dem Wiederbeginn des Konzertlebens das erste, Winkler und Noller stellten im Frühjahr 1951 das zweite Werk heraus. Daneben aber gibt es auch den Realisten und Naturalisten Honegger, den Mann des Sportplatzes und der Technik. Die kurze, eruptiv geladene Geräuschkulisse um die „Pacific“-Lokomotive herum wird manchen Hörern aus einem Sinfonie-Konzert des vorigen Jahres noch gut in Erinnerung sein. Und in Hamburg läuft zur Zeit in der Staatsoper Honeggers „Operette“, die er „König Pausole“ nennt. Also viel und vielerlei, aber immer hochqualitativ, immer persönlich und erfüllt.
So auch der „Roi David“. Verblüffend an dem Werk ist wohl vor allem die Kraft der Synthese. Da gibt es zu gleichen Teilen vokal und instrumental, alte, nahezu gregorianische Elemente und höchst moderne, schneidende Dissonanzen. „Dernier cri“ möchte man in freier Umdeutung sagen! Da finden sich Soli und Chor in häufigem Wechsel, strenge Deklamation und ariose, polyphonische Chorwellen. Neben der todesschweren Last des „Ich bin gezeugt in Sünd' und Not“ stehen Stellen eines fast schrillen, syllabischen Vortrags.
Respekt vor dem Städtischen Musikdirektor und allen seinen Helfern, die so weit gespannten Kontrasten voll gerecht wurden und sie wirklich meisterten, Irene Horvath hat zwar im Forte gefährliche Schärfen, aber die Leuchtkraft ihres dramatischen Soprans und das weiche Piano sind bestechend. Sieglinde Hopf setzte ihren warm getönten Alt sehr schön ein, und Jean Cox ließ seine klingende Höhe mühelos über das Orchester leuchten. Dorothea Gervenux hätte sich noch eindringlicher durchgesetzt, wenn sie etwas günstiger gestanden hätte. Die Sprechstimme hat leicht Mühe, gegen ein Orchester aufzukommen. Das hatte man bei Hans-Otto Ball gut berücksichtigt und ihn seitlich neben die Instrumente gestellt. Trotz technisch guter Deklamation ließ sein Vortrag aber etwas kühl und schien mehr von dem Wort als dem Gehalt her angesetzt. Der Sprecher kann viel mehr werden als nur verbindender Erzähler. Siegfried Lubahns kurze Szene ging der Samuel-Vision eindringlich nach.
Der Städtische Chor ist mit dem „König David“ wieder groß herausgekommen. Der Sopran klingt und führt. Er singt mit Entspannung. Daß der „Chor der Städtischen Bühnen“ wesentliche Hilfe bedeutete, versteht sich von selbst, zumal das Werk voll verkappter Dramatik steckt. Das Städtische Orchester blieb den sehr erheblichen instrumentalen Teilen nichts schuldig; besonders die Bläser konnten sehr überzeugen. Zusammengefaßt wurde die ganze Darstellung in der künstlerischen Kraft des Dirigenten. Den „König David“ rechnen wir zu seinen großen Leistungen. Dr. H. St.