Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 17.05.1949

Mozarts Lied vom Sterben

Aufführung des Requiems im Verein der Musikfreunde

Dem unerhörten Aufstieg des Kindes Mozart war ein trüber Nieder­gang des Mannes gefolgt. Schon die Zauberflöte war unter schwerem Druck entstanden, und als er am Requiem schrieb, hieß es in einem seiner letzten Briefe: „Ich fahre fort zu arbeiten, weil das Komponie­ren mich weniger erschöpft als die Muße . . . Ich bin im Bereich des Todes.“ Ehe er zu Ende kam, ging es für ihn selbst zu Ende. Sein Schüler Süßmayr hat die Arbeit vollendet, einiges nur ergänzt, anderes hinzugefügt.

Aus diesen Tatsachen erklärt sich der bittere Ernst des Werkes, seine wahrhafte, innere Frömmigkeit und damit die erste Ueberra­schung, die man beim Hören erlebt. Die zweite dürfte musikalisch-stilistischer Art sein, eine Verwunderung darüber, daß Mozart hier großenteils polyphon und linear schreibt. Polyphon allerdings in seiner Art, d. h. mit vielfältiger, gelegentlich sogar etwas unruhiger Dynamik; nicht in den breiten Klangstufen eines Händel, nicht mit dem Blick nach innen wie Bach, sondern mit dem dramatischen Nerv des Bühnenmenschen, der die Gegensätze plastisch macht. Was Mozart seiner musikalischen Sprache bei längerem Leben noch hinzuge­wonnen hätte, ist kaum zu ahnen, da auch romantische Vorklänge unverkennbar sind: einige schroffe Klangwechsel und harmonische Ueberraschungen gehören in diesen Bereich.

Die hervorragende Aufführung unter Paul Belker stellte das alles heraus. Sie betonte das Dramatische und wurde doch auch dem Lyrischen un Andächtigen voll gerecht. „Dona eis requiem“ z. B. wurde ganz wundervoll abklingend gebracht, aber auch die anderen Schlüsse, die mit Wucht oder im breiteren Maß der mittleren Stärke enden, waren in gleicher Qualität da. Das Lacrimosa, mit feinster Beachtung der zunächst gestoßenen und dann gebundenen Werte, stieg in dem großen zweimaligen chromatischen Aufbruch zu starker Gipfelung. Die synkopierten Streicherachtel im Hostias verdichteten die Aussage zu starker Intensität. Die gemauerten fortes im Bene­dictus hatten in ihrer gemessenen, ruhigen Art große Wucht, was sich besonders nach den zarten Soli sehr geltend machte. So könnte man die Einzelteile nacheinander nennen. Ein Versager war nicht da. Eine kleine Unstimmigkeit zwischen Posaune und Bassisten wurde sofort wieder eingerenkt. Die sehr unbequemen Gänge der Tuba mirum (eine der offenbaren Ungeschicklichkeiten Süßmayrs) gelangen dem Psausaunisten rhythmisch zwar etwas zögernd aber doch recht ordentlich. Die Klarinetten haben sich besondere Anerkennung ver­dient: die feine poesievolle Art der melodischen und bläserischen Gestaltung belebte die instrumentale Ergänzung wesentlich.

An dem Chor imponierte wiederum die unbedingte Sicherheit, die Dr. Howe zu danken ist. Die dynamischen Höhepunkte führten zwar mitunter in den Sopranen an die Grenze der Schärfe, doch standen dem wundervolle piani gegenüber. Die Bässe hatten mehrfach etwas Mühe, ihre Einsätze laut genug durchzusetzen, und als Fundament wirkten sie gelegentlich ein wenig dünn . . . was uns voriges Mal nicht aufgefallen war. Dennoch war die Leistung als Ganzes einfach vor­züglich.

Die Ergänzung durch die Solisten konnte nicht viel besser sein. Schöne Stimmen, gute, wenn auch nicht immer tadellose Verbindung zum Dirigenten, dem Chor und Orchester bis auf den leisen Wink gehorchen. Martha Schillings edler, leuchtender Sopran verband sich mit dem dunklen Alt Gusta Hammers besonders gut. Auch die beiden männlichen Solisten: Walter Geisler mit kraftvollem, kernigem Tenor und Georg Mund mit einem hellen und resonanzmäßig tadellos gebil­deten Baß, gefielen sehr.

Wie schon bei den Jahreszeiten festzustellen war, liegt Belker das Oratorium ganz besonders, mehr noch als das rein Instrumentale des Konzertorchesters und wohl auch mehr als die Oper. Diese Stilrichtung kommt offenbar seiner Art des Klangsinns am besten entgegen. Sein gebieterischer Zugriff findet hier, im Organ des Menschen, reichere Resonanz als bei der Sinfonie und erhält auch eine reintönigere Ant­wort als bei der Oper, deren Atmosphäre nicht ganz so überzeugend verwirklicht wird. Die groß und einheitlich gesehene Aufführung hinter­ließ tiefen Eindruck. Dr. Hellmuth Steger

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