Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 11.05.1939

Beethoven-Fest der Stadt Kiel

Drittes Konzert „Missa solemnis“.

Der dritte Tag des Beethovenfestes bescherte die Wiederholung der „Missa solemnis“, diesmal unter Paul Belkers Leitung. Krank­heit hatte ihn vor Wochen um den Ertrag seiner Mühen gebracht; es war ihm nicht vergönnt gewesen, persönlich das Resultat seiner monatelangen Vorarbeit angesichts der Oeffentlichkeit zu vertreten. Das wurde nun an diesem Abend nachgeholt.

Zum Unterschied von seinem Bremer Kollegen Liesche betonte Belker, wie auch bei der „Fünften“, in seiner Auffassung mit voller Deutlichkeit das Eruptive und Einmalige in Beethovens Ausdruckswei­se. Auf die Herausarbeitung dieser Züge hatte er bewundernswerte Sorgfalt verwendet. Wer selber einmal die „Missa“ mitgesungen hat, weiß, was es heißen will, gerade diese Seite der Musik aufführungsreif zu machen. So „natürlich“ wie dem Chore gestern der vielgefürchtete Einsatz des „Resurrexit“ und vieles andere mehr, was in die gleiche Richtung zielt, gelang, gelingt es nicht bei jeder Aufführung. Dieser Virtuosität im Kleinen aber stand (und das war das besonders Erhe­bende) die gleiche Virtuosität im Großen gegenüber. Belker ist nun einmal der Dirigent der hochgewölbten Bögen — davon zeugte vor allem die Gestaltungskraft, die sich in der Wiedergabe der beiden gigantischen Fugen und dem Benedictus mit aller seiner Umgebung manifestierte. Sie ergab eine zwingende Gesamtschau dieser unsag­bar schwierigen und unbequemen Stücke. Nur ein von Geist und Ener­gie derartig geladener Künstler wie Belker, der auch im dichtesten Tongetümmel nie sein Ziel aus den Augen verliert, kann sie gleich krampf- und mühelos fügen. Was schadet es da, wenn unter der Riesenmenge von Hörern, wie sie zum zweiten Male um des Werkes willen sich versammelt hatte, nicht jeder alle Einzelheiten des Satz­gewebes sofort geordnet in sich aufnehmen kann; auch der Ahnende wird mitgerissen in den Strudel des Ueberschwangs und emporgetra­gen in die Gefilde ewiger Schönheit.

Der Chor sang wieder ganz prachtvoll. Wir haben seine Leistung im einzelnen schon genug gerühmt; er ist das denkbar gefügigste Instrument in seines Meisters Händen und verbindet eine einfach schwindelerregende Beweglichkeit mit einer echten, von Herzen kom­menden Begeisterung für seine herrliche Mission. Getrost könnte er das Werk noch ein halbes Dutzend Male ankündigen, ohne daß er fürchten müßte, seine Gefolgschaft könnte ihm aufsagen . . .

An Stelle von Helene Fahrni führte Kammersängerin Amalie Merz- Tunner den Reigen der Solisten an. Sie gilt mit Recht als eine hoch­berühmte Vertreterin gerade dieser Partie. Die edle, tragende, pracht­voll gebildete und meisterlich behandelte Stimme wurde leicht ihrer Aufgabe Herr. Auch geistig und musikalisch erschien sie ihrer Kollegin durchaus ebenbürtig. Die Besetzung der Altpartie war zur Freude der Hörer die gleiche geblieben (Gusta Hammer). Neu indessen waren Tenor (Walter Ludwig) und Baß (Rudolf Watzke). Beide sind ausgezeichnete Künstler mit seltsam schönen Stimmen, und mit Geist und Stil des „letzten“ Beethoven innig vertraut. Das „Incarnatus“ des einen und das „Agnus Dei“ des andern werden uns noch lange nach­gehen, hier war die Wiedergabe letzte Erfüllung.

Unser Orchester, an der Spitze der zauberisch spielende Konzert­meister Ritterhoff, gab auch diesmal ein vollendetes Abbild des unerschöpflichen Werkes. Dr. Bernhard Engelke.

Zuletzt geändert am