Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Zeitung, 31.10.1933

Brahms-Feier

Der Acappella-Chor in Kiel veranstaltete gestern im „Haus der Arbeit“ eine nachträgliche Brahms-Feier (J. Brahms geb. 7.5.1833). Jeder Hörer wird nachempfunden haben, wie unmittelbar ein solcher Abend in den Rahmen der Bestrebungen des „Kampfbundes für deut­sche Kultur“ und der neuen Leitgedanken für eine deutsche Musik­pflege hineingehört. Und zwar nicht nur vom Gesichtspunkt des chor­mäßigen Gemeinschaftsmusizierens aus, durch welches am einfach­sten und wirksamsten die Verbreiterung der musikalischen Volkskultur erreicht werden kann. (Vergl. den Aufsatz von Prof. Dr. Fritz Stein „Er­ziehung zur Volksmusik“ in der „K. Z.“ vom 23. 10. und die Ausführun­gen an dieser Stelle anläßlich des Kieler Chormeister-Lehrgangs am 1. 10.)

Nein, weit über diesen allgemeinen Blickpunkt hinaus wurde man persönlich angerührt und ergriffen, und eindringlich darauf gestoßen, welch herrlichen und gegenwartsnahen Schatz an edelster deutscher Musik wir in Brahms Chor- und Vokalmusik überhaupt besitzen.

Kann man künftig gemäß der Leistungsfähigkeit der Volkschöre bei dem neu orientierten Gemeinschaftsmusizieren über die einfacheren Formen des Volksliedes hinausgreifen, so muß man immer wieder und vor allem auf den einen großen Namen hinweisen: Johannes Brahms! Bei ihm findet man die wunderbarste und idealste Vereini­gung höchstgesteigerter Satzkunst mit unmittelbar volkstümlichen Melodie- und Ausdruckselementen.

Das Geheimnis solch unmittelbarer und starker Wirkung Brahms­scher Vokalmusik auf den deutschen Menschen wird offenbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Meister ganz bewußt anknüpft an das kostbare musikalische Volksgut des 16. und 17. Jahrhunderts, das er freilich aus seinem eigenen Geiste und Genie um- und weiterbildete. Hier auch fand Brahms die vielen kraftvollen Antriebe, die ihn zum ersten großen Erneuerer einer wahrhaft deut­schen, formal, klanglich und ausdrucksmäßig unendlich bereicherten Chormusik werden ließen — nach den Zeiten der Verflachung und Niederung, in die die deutsche Vokalmusik durch die geschäftigen Mendelssohn-Nachfolger geraten war.

Die Vortragsfolge des gestrigen Abends war mit besonderem Geschick zusammengestellt und auch dadurch sehr anregend gestal­tet, daß Acappella-Gesänge abwechselten mit Soloquartetten (mit Klavierbegleitung.) Und hier wiederum war es sehr dankenswert, darauf hinzuweisen und durch die Tat zu beweisen, daß Brahms außer den allgemein geliebten Zigeunerliedern und Liebesliederwalzern mit seinen Op. 32, 64, 92, 112 noch andere wertvolle und wunderschöne Werke dieser Gattung geschaffen hat.

Der Abend begann mit der vier- und sechsstimmigen Motette „Warum ist das Licht gegeben“, Op. 74. Es ist im höchsten Grade bewundernswert, wie es Brahms gelungen ist, hier in einem knapp gefaßten Werk eine Entwicklung und Wandlung durchzuführen von Zweifel, Anklage und Schmerz zu starkem, sicherem Gottvertrauen, und das nicht nur klanglich und ausdrucksmäßig, sondern auch in der formalen Ausgestaltung der Komposition: Die dreimal laut und kla­gend aufklingende Frage „warum“ umrahmt die beiden kunstvollen ersten Teile und findet ihre Antwort im Schlußteil, einem innigen, in Bachscher Art gesetzten Choral „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“.

Die Darbietung zeigte, daß der Kieler Acappella-Chor unter seinem neuen Leiter, Landeskirchenmusikdirektor E. Zillinger, berufen ist, eine wertvolle Tradition fortzusetzen. Der Zusammenklang und die Ausgeglichenheit der Stimmen, die Sicherheit und Reinheit der Into­nierung, die dynamische und rhythtmische Beweglichkeit des Vortrags schlossen sich zu einer Gesamwirkung von stärkster Eindringlichkeit zusammen.

Für die Güte des Chors spricht, daß aus ihm selbst ein Solo­quartett entnommen werden konnte, das unter sich wiederum klanglich und ausdrucksmäßig in schönster Form harmonierte. Es besteht aus Charlotte Achepohl (Sopran), Erna Permin (Alt), Harald Hansen (Tenor), Heinr. Mattenklodt (Baß). Diese sangen die Soloquartette op 64 Nr. 2 „Der Abend“, op. 112 Nr. 2 „Nächtens“, op. 92 Nr. 3 „Abendlied“, und im weiteren Verlaufe des Konzertes eine nicht ganz so schwerblütige Gruppe, bestehend aus op. 64 Nr. 1 „An die Heimat“, op. 92 Nr. 4 „Warum“ und das heiter stimmungsvolle „Wechsellied zum Tanz“ op. 31 Nr. 2. Jedes dieser Stücke war mit feinster Gesangeskultur musikalisch von innen heraus gestaltet. Die verschiedenartigen Grundstimmungen wurden unmit­tel­bar lebendig. Eine musikalisch gleich wertvolle Ergänzung bedeutete die Begleitung durch Herrn Zillinger am Flügel. Das „Wechsellied zum Tanz“ mußte wiederholt werden.

Der Gesamtchor bot a cappella noch eine Folge aus den Werken 42 und 104, die die unerschöpfliche Vielseitigkeit des Meisters und seine innige Versenkung in den Stimmungsgehalt der Texte bewiesen. Unter diesen Gesängen befand sich das balladenmäßige „Vineta“ und die eindrucksvolle „Nachtwache II“, die auf dem Hornruf des Wächters aufgebaut ist. In einem weiteren Chor „Abendständchen“ konnten unsere Sänger besonders zeigen, was sie an Klarheit und Sicherheit schwierigster Einsätze leisten.

Den Abschluß bildeten die berühmten „Fest- und Gedenksprüche“ Op. 109. Sie entstanden in einem Hochschwunge patriotischen Gefühls nach 1870/71! Daher auch ihre prunkvolle, feierliche Acht­stimmigkeit. Hinter dem freudigen Aufschwunge lebt aber ein tiefer mahnender Ernst. Dem Text gemäß sind sie in Harmonie und Stimm­führung stark archaisierend gehalten.

Zum Beweis der Gegenwartsnähe dieser Gedenksprüche nur zwei Textzitate: „Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibet das seine mit Frieden! Aber: ein jeglich Reich, so es mit sich selbst uneins wird, das wird wüste und ein Haus fällt über das ande­re!“ — oder: „Hüte dich, daß du nicht vergessest der Geschichte, die deine Augen gesehen haben, daß sie nicht aus deinem Herzen komme dein Lebelang!“

Mit stärkster Wirkung brachte der Chor den breiten Vollklang der feierlich strömenden Polyphonie heraus, eine besonders schöne Leistung angesichts seiner zahlenmäßigen Kleinheit.

Man verließ das „Haus der Arbeit“ in dem nachwirkenden Gefühl, einen an Kunstwerten und vornehmer Kunstausübung reichen Abend verlebt zu haben.

P. B.

*

Siehe auch Dr. Engelke.

Kieler Zeitung, 25.10.1933

Brahms-Feier des Städt. A-cappella-Chors

Beim Neuaufbau des städtischen Musiklebens in Kiel ist durch den Fachgruppenführer des Kampfbundes für Deutsche Kultur, Magistrats­rat Dr. Nordmann, und unter musikalischer Leitung durch Musikdi­rektor Gahlenbeck ein städtischer Chor geschaffen wor­den. Diesem Chor ist nunmehr auch ein städtischer A-cap­pella-Chor angegliedert. Beider Chöre Schirmherr ist Herr Ober­bürgermeister Behrens. Der Städtische A-cappella-Chor veranstaltet am 30 Oktober unter Landeskirchenmusikdirektor Zillinger eine Brahmsfeier. Diese Brahms-Feier bedeutet für Kiel die einzige Chor-Gedenkfeier mit ausgesuchten und selten zu hörenden Werken des Meisters. Der Chor verzichtet selbstverständlich auf die Heranziehung von Prominenten, auch für die Aufführung des Solo- Quartetts, das als ganz auserlesene Schöpfung der Vokal-Kammer­musik und zugleich als feinste Volksmusik zu bezeichnen ist.

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