Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 11.05.1932

Sechstes Symphoniekonzert.

Erste und Neunte Symphonie Beethovens.

Am Montag abend feierten Tausende mit unserm Orchester dessen 25jähriges Jubiläum. Nicht in Pomp und Jubel wie in besseren Zeiten, nein, ruhig und nachdenklich, denn über dem Ganzen liegt ja der Schatten der Auflösung . . .

25 Jahre! Welche Riesensumme von künstlerischer Arbeit ist in dieser Zahl beschlossen! Weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus steht der Ruf unseres trefflichen Orchesters gegründet. Diesem Umstand verdankt es Kiel, daß in seinern Mauern die Bach- und Händelgesellschaft ihre Feste feierten, daß die Verbindung mit den schaffenden Musikern des Nordens geknüpft werden konnte, daß das Eintreten für die junge Generation deren Arbeiten nicht nur ans Licht zog, sondern sogar entscheidend beeinflußte.

Unser Orchester ist niemals eine „Wandertruppe“ gewesen. 17 von denen, die bei der Gründung verpflichtet wurden, sind noch heute im Dienste, und alle übrigen sind ebenfalls lange Jahre Mitglieder der Körperschaft. Dieser enge Zusammenschluß, diese persönliche Ver­bundenheit im Dienst am Kunstwerk ist die Ursache des ausgezeich­neten Zusammenspiels, das wir in jeder Veranstaltung, ob Oper, ob Konzert, bewundern, das vor allem denen auffällt, die als Gast­diri­genten Einkehr halten. Nun soll alles zerschlagen werden, all die schönen Worte, die von hohen und höchsten Stellen über die Bedeu­tung des Kieler Musiklebens gesprochen sind, sollen vergessen sein: man will die treuen Diener von gestern zu Almosenempfängern machen und den Musen die Tür weisen . . . In Luthers „Tischreden“ steht ein leidenschaftliches Wort von der Pflicht der Regenten, „Musicam zu halten“. Zu seiner Zeit stand die deutsche Musik erst am Anfang. Wie würde er erst heute aufbegehren, wenn er hörte, daß in seinem heißgeliebten Deutschland, das jene unübersehbare Zahl von alles überragenden Meistern hervorgebracht hat, deren Kunst die ganze Welt bezwang, die überhaupt erst dem deutschen Namen Achtung und Geltung erzwungen hat, daß in diesem Lande — im Augenblick, wo man Goethe und Haydn feiert — die Musikpflege erdrosselt wird, obwohl das Volk in seiner Gesamtheit ihrer begehrt, weil es fühlt, daß es sie nötig hat, nötiger als zu irgend einem Zeit­punkt unserer Geschichte . . .

Auf dem Programm des Festabends standen Beethovens Erste und Neunte, Auftakt und Ausklang eines symphonischen Schaffens. Beide Werke haben eine symbolhafte Bedeutung für das deutsche Orchesterwesen: die I. eröffnete das erste deutsche Musik­fest in Frankenhausen (1811), das dem Gedanken des Berufsorches­tertums zum Siege verhalf, die Eroberung der IX. bildete die Krönung der Arbeit dieses Berufsorchesters, mit ihr gewann Deutschland noch 1870 sein „Triumphlied“, vor dessen Zauber sich alle neigten, Kaiser und Arbeiter, Künstler und Laien.

Selbstverständlich konnten der übliche Konzertsaal und das Theater die Vielen, die dem Orchester ihre Verehrung bezeugen wollten, nicht aufnehmen. Daher mußte man die Veranstaltung in die „Nordostseehalle“ legen. Für die musikalische Wirkung war es schade. Denn die heimtückische Akustik dieser Halle sträubt sich gegen die Wiedergabe Beethovenscher Musik ebenso beharrlich, als sie die al fresco-Musik Händels ohne Abzug sich ausbreiten läßt.

Die Aufführung unter Prof. Steins begeisternder Leitung war an sich wundervoll und von hoher technischer Vollendung. Die reizende Filigranarbeit der I., der jünglingshafte Frohsinn der Musik, dazu die gute Laune ihres Schöpfers, der sich selber am Schluß des letzten Satzes ein übermütiges „Cherubino alla vittoria“ zuruft: all dies, von Meis­terhänden aufgegriffen und weitergegeben, verfehlte seine Wirkung nicht, obwohl es schwer hält, den Faden nicht zu verlieren . . .

Dann kommt mit tastenden Schritten die IX. in den Saal. Nur zögernd nähern einander Werk und Hörer. Der spröde erste Satz mag sich nicht einfügen in den Riesenraum. Mit dem zweiten wird's beser, im Trio zum ersten Male kann sich der Strom der Beethovenschen Melodie entfalten. Nun ist der Bann gebrochen. Der Gottesfriede des Adagio senkt sich herab, Bläser und Streicher singen schönheitstrun­ken vor sich hin, wie van Eyks musizierende Engel gesungen haben mögen. Der grelle Aufschrei des letzten Satzes reißt uns in die Wirk­lichkeit zurück: der prachtvoll tragende Baß Kurt Wichmanns beschwört den Sturm und stimmt den Jubelhymnus an . . .

Dem Orchester zur Seite treten nun seine alten Verbündeten: der Lehrergesangverein und der Oratorienverein. An dem Ehrentage der Feunde wollen sie nicht untätig im Saale sitzen, sie wollen mehr als glückwünschen: sich selber ehren im Mithelfen und -dienen. Und sie haben sicherlich kaum so schön gesungen: Steigerungen gab's und klangliche Gipfelungen, die nur die selbstvergessene Begeisterung zu erzeugen vermag.

Ein besonderer Schmuck der Aufführung war das Soloquartett. Neben dem genannten Halleschen Bassisten Adelheid Arm­hold, Gusta Hammer, Dr. Hans Hoffmann! Vor solcher Künstlerschaft zerfallen die Schwieerigkeiten dieser Partie in nichts.

Der Dank aber, der gestern die weiten Hallen durchbrauste und Leiter und Ausführende ehrte und wieder ehrte: sei er uns allen ein Ausdruck des entschlossenen Willens, das, was heute noch besteht, nicht vergehen zu lassen, sondern es opfermutig hinwegzutragen, besseren Tagen entgegen. Dr. Engelke.

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