Kieler Zeitung, 05.12.1934
V. d. M.
Haydn: „Die Jahreszeiten“
In dem Schaffen Haydns liegen seine beiden Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ wie Perlen in einer Krone. Müßig ist es, den Wert der beiden gegeneinander abzuwägen. Allerdings hat man's getan und hat behauptet: „die „Jahreszeiten“ wären in der bescheidenen Musik die schönste Sache von der Welt, wenn die „Schöpfung“ nicht existierte.“ Gewiß erhält die Schöpfung erhebende Musik; Haydn läßt dort die Englein singen — während in den „Jahreszeiten“ bäuerliche Menschen von festem Fleisch und heißem Blut singen. Aber auch hier, wo diesseitiges Leben in seiner Vielgestalt blüht, herrscht frommer Sinn. Natur und Landleute loben durch ihr Dasein an sich den Schöpfer. Und wie erschütternd wirkt der Ausruf: „Ewiger, mächtiger, gütiger Gott“ oder die hoffnungsstarke, glaubensfrohe Schlußfuge „Uns leite deine Hand, o Gott!“ Lassen wir also die Vergleiche und freuen wir uns des Werkes als eines Urbildes wahrhaft volksgebundener Kraft. — Ueber das, was als Einführung in das Werk zu sagen wäre, ist an dieser Stelle schon gelegentlich des Vortrages von Dr. Engelke berichtet worden, so daß sich weitere Worte erübrigen.
Die Aufführung! — GMD. Hans Gahlenbeck hatte zur Darstellung des Werkes einen stattlichen Chor (Oratorienverein und Kieler Lehrergesangverein) zur Verfügung und hatte es verstanden, beide Chorgruppen in langer Vorarbeit zu einem seinen künstlerischen Absichten ganz gefügigen Instrument zusammenzuschweißen. Der Chor war sozusagen der Hauptsolist; denn man spürte in allen Partien des Chores den Ausdruck inneren Erlebens, so daß es zu einem wirklichen Vermitteln der dem Werke zugrunde liegenden Gemütswerte kam. Wollte man einiges, was an der Chorleistung bestach, herausheben, so müßte man erinnern an die Beweglichkeit des Chores bei den dramatischen Stellen (Jagdchor), an die Herausarbeitung der Wucht in den wie eine Huldigung an Händel anmutenden Chorfugen oder an die Schlagkraft, mit der die geniale Schluß-Koda herausgesungen wurde. Anderseits müßte man auch rühmen, wie die Chöre Weichheit und Fluß der Linien zu bewahren wußten. Die virtuoseste Leistung des Abends war die Gestaltung des Weinchores. Das wurde unter den anfeuernden Händen Gahlenbecks ein echtes, bäuerliches Volksfest, bei dem Lustigkeit und Freude hohe Wellen schlugen.
Den sicheren Untergrund zu dem chorischen Geschehen gab das Orchester, das erheblich verstärkt war und mit ehrlicher Freude an der bildkräftigen originellen Musik Haydns am Werke war. Wundervolle Aufgaben hatten die Holzbläser zu lösen, und besonders der berückende Zwiegesang der Oboe mit dem Solo-Sopran war ein köstlicher Ohrenschmaus.
Das Solistenterzett hanne, Lukas, Simon wurde gebildet von Anny Quistorp, Heinz Marten und Günther Baum und man kann sagen, daß alle drei der Aufführung zur Zierde gereichten. Wunderbar leicht schwang sich der erlesene Sopran Anny Quistorps in atemberaubende Höhen, geschmeidig im Klanglichen und im Seelischen gab die ausgezeichnete Sängerin ihren Arien eine beherrschte und vornehme Darstellung. Auch der Tenor (Heiz Marten) bestand in Ehren, insofern, als er seine Arien sehr gepflegt und mit am Oratorium geschulter Distanzierung sang. — Günther Baum, der Bassist der Aufführung, ging mit schöner Ruhe des Vortrages an seine oft sehr schwierigen Aufgaben heran. Er meisterte technisch sein edel klingendes Prachtorgan, dem man nur noch in der Tiefe etwas mehr Kraft wünschen möchte, mit sicherer Atemführung und erzielte dadurch und durch seine geistig tief schürfende Vortragskunst, starke nachhaltige Wirkungen. So wurden besonders sein Solo in der Jagdszene und die tiefsinnige Schluß-Arie „Erblicke hier betörter Mensch“ zu Gipfelpunkten des Ganzen. — Als Rezitativbegleiter wirkte am Flügel: Karl-Heinz Strasser, und zwar in einer rühmenswert taktvollen und diskreten Manier.
Der Gesamteindruck der Aufführung war ebenso wie die hervorgehobenen Einzelheiten ein außerordentlicher. Die Hörer, die auch den Nebensaal noch füllten, hatten ihre große Freude an diesem herrlichen musikalischen Bilderbogen, den Gahlenbeck und die unter seinem Stabe musizierenden, vor ihnen ausbreiteten. Zum Schluß entlud sich die Dankbarkeit in einer selbst bei diesen Sinfoniekonzerten seltenen Beifallsstärke. Mß.
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Siehe auch Dr. Engelke.