Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Zeitung, 07.05.1935

Verein der Musikfreunde

Beethoven-Abend

Das letzte der acht Symphonie-Konzerte, die der Verein der Musik­freunde uns in diesem Konzertwinter bescherte, holte noch einmal zu ganz großem Schlage aus: Beethovens 125. Werk, die „Neun­te“, zierte das Programm und wurde zum erhebenden Ausklang der erfolgreichen Arbeit unseres Symphonie-Orchesters und seines Diri­genten, die von beiden in der eben beendeten Spielzeit zu leisten war.

Vor die „Neunte“ hatte man die erste Symphonie (C-Dur) gesetzt, und so mußte der denkende Hörer im Geiste den ganzen, ungeheuer weiten Raum mit seinen vielfachen Gipfelungen durchmes­sen, der zwischen diesen beiden Werken liegt. Das Werk des frühen Beethoven mit seinen an Haydn und Mozart erinnernden Klängen, in denen aber doch schon hier und da der junge Aar seine Schwingen regt und sich zu sieghaftem Höhenfluge anschickt und dann jene größte und letzte der klassischen Symphonien, eine wahre Symphonie der Millionen, die hier liebetrunken zu Dichterworten „umschlungen“ werden. Wahrlich ein gewaltiger Kreis, den der Aktionsradius des Riesengeistes Beethoven umschreibt. Beethoven hat mit der „Neun­ten“ den grandiosen, einmaligen und herrlichsten Ausdruck sieghaf­ten, alles Schicksal bezwingenden Menschentums gegeben. Ein Werk, zeitnahe wie nur eines; denn es vermag dem Manne Feuer aus der Seele zu schlagen. Hier wie in anderen Großwerken Beethovens steht der tätige, wirkende und alles Ungemach überwindende Mensch im Vordergrund. „Freudig wie ein Held zum Siegen“ wandelt er seine Lebensbahn als ein Sinnbild der Wehrhaftigkeit. Seine Willensstärke überwindet alles Widrige. Leidverklärte Freude ist der Weisheit letzter Schluß.

Wenn diese Weisheit mit den sieghaften Tönen des orphischen Schlußsatzes gepredigt wird, dann werden die Seelen der Hörer in Brand gesetzt. Die Herzen werden weit und werden empfänglich für das Edle und Wahre. — Wer denkt bei dieser Musik noch, daß sie von einem einsamen, unglücklichen, des Gehörs beraubten Menschen geschenkt wurde? — Gerade diese Weltentrücktheit gibt dem Werke einen göttlichen Hauch, den man zwar nicht beschreiben, aber fühlen kann „Ihr stürzt nieder, Millionen!“ —

Generalmusikdirektor Gahlenbeck und das Städtische Orche­ster standen an diesem Abend vor großen ehrenden Aufgaben. War die Wiedergabe der ersten Symphonie noch von einer gewissen Un­ruhe erfüllt, die den Charakter des Werkes in etwas auf den späteren Beethoven umdeutete, so fand Gahlenbeck in der Darstellung der neunten Symphonie die rechte Nähe zum Geiste des Schöpfers. Das Chaotische des Anfangssatzes kam ebenso zur Geltung wie der dyonisische Taumel des Scherzos. Voller Innigkeit verströmten dann die tiefen Gedanken des Adagios, das in aller Dichtigkeit seiner inne­ren Spannungen vor uns erstand, und dem man nur noch eine stärke­re Veredelung im Klanglichen gewünscht hätte.

Großzügig und präzise wurde dann der Schlußsatz aufgebaut, der sich zur selbständigen Kantate weitet und doch durch das Band der Idee fest mit den gewaltigen drei Orchestersätzen verbunden ist. Prachtvoll leitet Erik Schütz mit seinem Solo „O Freunde, nicht diese Töne“ in den Freudenhymnus über. Der Schluß gehört den Sing­stimmen, die, von Beethovenschem Feuer durchglüht, dem Werke sieghaften Abschluß geben. Gerade in diesem Chorfinale findet Gah­lenbeck prächtige Modifikationen der musikalischen Linie, gestaltete sozusagen mit rhapsodischer Freiheit. Orchester, Chor (Lehrerge­sangverein und Oratorienverein) und Solisten (Anne­marie Sottmann, Marianne Schröder, Hanns Trautner und Erik Schütz) wetteifern im Dienste des Hohen und erreichen es, daß sich am Schluß Dankbeifall mit elementarer Gewalt entlädt.

So ist der Zyklus der Sinfoniekonzerte 1934/35 beendet. Reich an Mühen war es für die Ausübenden, aber auch reich an glücklichen Ergebnissen. An dieser Stelle ist oft und mit Nachdruck gesagt wor­den, was wir an Gahlenbeck als Symphoniedirigenten zu schätzen haben und was wir in unserem Städtischen Orchester besitzen. Mögen die vielfachen Erfolge der Zeit, die hinter uns liegt, Ansporn sein zu neuen Taten. Mß.

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Siehe auch Dr. Engelke.

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