Kieler Neueste Nachrichten, 27.04.1938
Anton Bruckners F-moll-Messe
Der „Verein der Musikfreunde“ überreicht sein neues Konzertprogramm
Mit Bruckners gewaltiger „f-moll-Messe“ klang die Reihe der großen Symphoniekonzerte des „Vereins der Musikfreunde“ feierlich aus. Mit unwiderstehlicher Ausdrucksgewalt strömt die Musik dieser Messe aus Orchester und Chor über den Hörer. Emporgewachsen aus den unabmeßbaren Tiefen der kindlich reinen Gottgläubigkeit des Meisters, hat sie die wunderbare Kraft, jeden Ort, an dem sie im Geiste ihres Schöpfers sich entfalten kann, die Weihe eines Gotteshauses zu geben.
Die Aufführung der Messe, die den Dirigenten Paul Belker und die Ausführenden, das städtische Orchester, den Chor (Städt. Chor und Theaterherrenchor) und die Solisten, vor außerordentlich große Aufgaben stellte, wurde zum ergreifenden Zeugnis des überzeitlichen Schöpfertums Bruckners. Wer Gelegenheit hatte, in der letzten Zeit bedeutende Chöre mit bekanntem Namen zu hören, wird die außergewöhnliche Leistung, die Belker mit diesem Chor vollbrachte, ganz besonders hoch zu schätzen wissen. Der Chor sang mit solch überragender Beherrschung der technischen Schwierigkeiten und der Ausdrucksgebung, daß man ihm und seinem Meister, dem überdies die schwierige Zusammenführung von Chor, Orchester und Solisten zur organischen Gestaltungseinheit ausgezeichnet gelang, höchstes Lob aussprechen darf. Gleichen Dank dürfen wir unserem prächtigen Orchester und dem vorzüglichen Solistenquartett Adelheid Armhold (Sopran), Lilly Neitzer (Alt, Anton Knoll (Tenor) und Günther Baum (Bariton) entgegenbringen. Der erste Teil des Konzerts stand im Zeichen einer glänzenden Wiedergabe der 1. Symphonie Beethovens durch Paul Belker und unser städtisches Orchester. Das Wort Werktreue fand in dieser Wiedergabe seine schöne Erfüllung. Das vollbesetzte Haus dankte für die großartige Gestaltung der Messe und der Symphonie mit anhaltendem Beifall.
Mit der Ueberreichung des Konzertplanes für den kommenden Winter bereitete der V.d.M. den Besuchern dieses Konzerts eine besondere Ueberraschung. Ein besseres Zeugnis für ihre rührige und verantwortungsvolle Arbeit hätte die Leitung des Vereins nicht vorlegen können. Die Gelegenheit, wenigstens auf diesen oder jenen Punkt des großzügigen und überaus wertvollen Programms hinzuweisen, soll hier nicht versäumt werden. Nach langen Jahren wird der Wunsch wohl aller Kieler Musikfreunde nach einem Besuch der „Berliner Philharmoniker“ unter Wilhelm Furtwängler endlich in Erfüllung gehen, auch Professor Rudolf Krasselt erscheint wieder als Gast, und als Abschluß des Konzertwinters wird ein Beethovenfest mit allen Symphonien und der Missa solemnis stattfinden. Eine Fülle der bedeutendsten Solisten erscheint in den Symphonie- und in den Meister-Konzerten. Da werden genannt Professor W. Backhaus, Helene Fahrni (Sopran), Rudolf Watzke (Baß), Georg Kulenkampff, Walter Ludwig (Tenor), Thelma Reiß (Cello, London), Edwin Fischer, Emmi Leisner, Friedrich Wührer, Carl Seemann, Kammersängerin Viorica Ursuleae mit Prof. Clemens Krauß am Klavier, das berühmte Paquier-Trio und Andres Segovia. In sorgfältiger Auslese wurde eine Werkfolge zusammengestellt, die sicherlich starken Widerhall bei allen Musikfreunden finden wird. Zu einem späteren Zeitpunkt wird auf sie an dieser Stelle noch besonders eingegangen werden.
Mit Stolz darf der V.d.M. auf die großen Erfolge seiner Arbeit im vergangenen Winter zurücksehen. Sie und das vorgelegte neue Programm geben für die nächste Konzertzeit einen sehr günstigen Boden ab. Alexander Ostrowicz.