Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Neueste Nachrichten, 15.05.1939

Glanzvoller Abschluß des Kieler Beethovenfestes

Am Freitagabend fand das Beethovenfest seinen Abschluß mit den Aufführungen der 8. und 9. Symphonie. Mit der „Neunten“ war, wie erinnerlich, die diesjährige Winterspielzeit eröffnet worden, und da wohl die meisten Festteilnehmer Zeuge jener Aufführung gewesen waren, konnten diese leicht die abermalige Darbietung wertmäßig einschätzen. Wir haben damals hervorgehoben, wie wohltätig die energische, um nicht zu sagen fanatische Art des Dirigenten auf das Werk zurückwirkte. Das war dieses Mal erhöht der Fall, da das musi­kalische Fundament, das Orchester, durch die Verdoppelung der Holz­bläsergruppe den Streichern gegenüber klangstärker in die Erschei­nung treten konnte. Jeder Musiker weiß, daß Beethovens Partitur, wortwörtlich beachtet, den Dirigenten in arge Verlegenheit bringen kann, und daß es langer, subtiler Hörproben bedarf, bis der Klang den gegebenen Raumverhältnissen eingepaßt ist. Was Kapellmeister Belker in dieser Beziehung erreichen konnte, hat er erreicht. Die Aufführung war in allen Teilen von aufregender Gewalt, ja, man sagt nicht zuviel, wenn man sie auf Grund ihrer Werktreue und Stilreinheit geradezu als vorbildlich bezeichnet. Das Orchester setzte sich wieder mit der Summe seines Könnens für die verantwortungsvolle Aufgabe ein, ebenfalls hielt der Chor sich ganz bewundernswert: wie in der „Missa solemnis“ überwand er die berüchtigten Schwierigkeiten des Beethovenschen Vokalsatzes spielend. Belkers Probenarbeit hat ihn eben von allen Hemmungen unabhängig gemacht. Das technische Wunder erweckte den Eindruck, als sei die Wiedergabe der Nieder­schlag spontaner Improvisation.

Die Solisten der „Missa“ noch einmal hören zu dürfen, wird allen Besuchern eine aufrichtige Freude gewesen sein. Wie gern kostete man den Genuß aus, vier solche Meisterstimmen zu belauschen im Ringen um eine der edelsten Aufgaben der Konzertmusik!

Bleibt noch die Aufführung der kürzesten aller Beethovenschen Symphonien, der „Achten“. Hier führt der übermütige Beethoven das Wort, der 42jährige hat den lieben Weg in die Heimat, ins Kinderland, zurückgefunden, wo die Alltagsbitternisse ihre Macht verloren haben, wo die Seele des Künstlers wieder zum Kristall geworden ist, den kein falscher Strahl des Lichtes treffen kann. Das Werk in seiner rührenden Güte und kindhaften Fröhlichkeit ist ein besonders beredtes Zeugnis für das Ethos der Beethovenschen Kunst. Ueberblickt man die Auf­zeichnungen dritter, die den Meister um die Schafffenszeit an diesem Werke besuchten, so treffen wir in allen Aeußerungen Beethovens den gleichen Ton, den Wunsch, die Menschen durch seine Gaben zu erfreuen und zu beglücken. „Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß freiwerden von all dem Elend, womit die andern sich schleppen.“ Vielleicht darf noch gesagt werden, daß selbst hinter diesem anscheinend so unbeschwerten Werke ein kritisch sichtender Verstand auf der Lauer lag, und das Ganze erst freigab, nachdem auf Grund der Aufführung der erste Satz noch um fast 40 Takte erweitert worden war. Auch das Lachen hat Beethoven nicht leicht genommen! Die vier Sätze, das weiß heute jeder, gehören zu den kostbarsten Stücken seines Vermächtnisses. Daß diese Erkenntnis so spät kam, lag ohne Zweifel an der Unvollkommenheit älterer Aufführungen. Wo die geistigen und technischen Voraussetzungen der Partitur erfüllt werden können (wie bei uns), da ist der Eindruck so, wie er am Freitag an dem Maße des Beifalls kundbar wurde: tief und nachhaltig und befreiend.

Rückblickend dürfen wir mit Stolz sagen: dieses Fest war eine gewaltige Hochleistung aller Beteiligten, ein ruhmvolles Zeugnis für die Stärke des heimischen Könnens, das man draußen im Reich weder leugnen noch überhören kann. Wir freuen uns dessen, nicht zuletzt um des Mannes willen, dessen nie ermüdende Tatkraft das Ganze erst ermöglicht hat: Magistratsrat Dr. Nordmann. Wenn der Ober­bürgermeister, wie berichtet, nach dem letzten Konzert neben einer kleinen Zahl von Gästen die Ausführenden zu sich ins Rathaus lud und dann ihr Verdienst ehrte, so sei es, wie Kapellmeister Belker in seiner Antwort schlicht und ehrlich ausführte, nicht minder gerecht, diesen Dank sofort zurückzugeben, denn keiner von Kiels leitenden Männern habe bisher die Musik in allen ihren Zweigen so gefördert wie Oberbürgemeister Behrens. Es sei daher eine selbstverständ­liche Pflicht aller musikalischen Bürger unserer Stadt, geschlossen die eingeschlagene Aufwärtsbewegung mitzumachen. Eine Vereinigung habe das von Anfang an freudig getan: der Städtische Chor (früher „Oratorienverein“), der symbolhaft in den 20 Jahren seines Bestehens mit Ausnahme des „Requiems“ von Verdi nur deutsche Werke heraus­gebracht habe. Wie der Vorsitzende, Dr. Richter, als dritter Spre­cher des Abends, launig betonte, habe sich der Verein auch dem bisher „unbequemsten“ Dirigenten freudig zur Verfügung gestellt und sei auch fernerhin bereit, jede Aufgabe anzupacken, deren Lösung ihm auferlegt wird. — Wo eine solche Eintracht herrscht, ist echter und idealer Kunstsinn lebendig, und der Geist reinen Menschentums, den Beethoven für seine Schöpfungen wünschte, wird sich weit und weiter ausbreiten. Dr. Bernhard Engelke.

Zuletzt geändert am