Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 25.06.1951

Mensch und Gott

„Missa solemnis“ als Festkonzert der Kieler Woche

Mit der feierlichen Messe von Ludwig van Beethoven fand die erste Reihe der Sinfoniekonzerte des VDM ihren Abschluß in einer leiden­schaftlichen und starken Aufführung, die tiefen Eindruck hinterließ.

Wenn ein großer Einzelner wie Beethoven eine kirchlich-liturgische Vorlage vertont, so müssen Widersprüche aufklaffen, die gerade aus seiner Individualität kommen. Seine Freude wird oft Verzückung, der Jubel brandet maßlos, und tief bohrt sich der Schmerz nach innen. Quelle und Mittelpunkt bleibt immer die eigene Brust. Nur daß es ein Beethoven ist, weitet alles zur Größe, aber die kultische Bindung, die auch den Künstler trüge, ist nicht da. So entstehen Schroffheiten der Diktion, die nur aus dem Zweifel (oder auch seiner Ueberwindung!) kommen, Rationales mischt sich ein, große Weichheit auf der anderen Seite, wie sie bei den romantischen Zeitgenossen gang und gäbe war. Daher die Spannung, die Anspannung des Ausdrucks, der Jubel­krampf des Gloria, der entfesselte Schluß im Credo. Und doch welche Hoheit, welche Wärme schon im Kyrie, im Incarnatus, wie zart, ja zärt­lich ist das Benedictus. Die problematische Kriegsmusik im geängste­ten Agnus Dei endlich, ist sie nicht zugleich kühn und naiv?

Die Ansprüche des Werkes an Chor und Solisten sind tonlich, rhythmisch und auffassungsmäßig groß. Die Nachbarschaft der stilistisch ähnlich gelagerten Neunten drängt sich dem Hörer immer wieder auf. Was der Städtische Chor, verstärkt durch den Herrenchor der Städtischen Bühnen, leistete, war prachtvoll. Karl Eckert hatte für straffe rhythmische Zucht und genaue Phrasierung gesorgt, und Georg C. Winkler riß mit seinem Temperament, seinem Können, aber auch mit seiner künstlerischen Besessenheit Chor, Solisten und Orchester zu machtvoller Einheit zusammen. An der nachdrücklichen, zum Teil drastischen Deklamation erkannte man den Theatermusiker, aber sehr klar ordnete er auf diese Art das dichte Geflecht der melo­dischen Linien.

Und über die zerklüftete Landschaft dieses Werkes schreibt sein titanischer Schöpfer die demütigen Worte: „Von Hertzen, möge es zu Hertzen gehen.“!

Auch in der Wahl der Solisten bewies Winkler von neuem eine glückliche Hand. Es war ein großer Gewinn, den überaus klangschö­nen Sopran Hanna-Ulrike Vassalls kennen zu lernen, dessen Kuppel­klang aus vorbildlich gewonnener Resonanz kommt. Die edle, ergie­bige, sehr leuchtende Stimme dient einem tiefen Ausdruckswillen und ist hoffentlich nicht zum letzten Mal in Kiel zu hören gewesen. Ilsa Ihme-Sabisch ist von ihrem ersten Auftreten her als starke Reger-Interpretin noch gut bekannt. Der pastose Alt entfaltete sich in dem weiten Rund der Kirche fast noch reicher und wärmer, doch dürfte dass portamento von Ton zu Ton keineswegs noch gesteigert wer­den. Walter Geisler hielt sich streckenweise recht zurück, überzeugte aber durchaus nach Können und Ausdruck. Auch Karl Wolfram war eine wertvolle Solobesetzung; auch seine große und künstlerische Musikalität ist in Kiel von seinen Balladenabenden her noch gut gegenwärtig. Schön in Stil und Empfindung die Solovioline Lothar Ritterhoffs. — Noch einmal ein großer Abend. Wer ihn nicht erlebt hat, sollte es nicht versäumen, sich die heutige Wiederholung des Konzerts anzuhören. Dr. H. St.

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Siehe auch: S. M.

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