Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 11.05.1956

„Genieflammen zuckten . . .“

Der Städtische Chor, Kiel, bringt Mozarts c-moll-Messe

Wenn unser Städtischer Chor weiterhin mit so durchgearbeiteten , runden und geschlossenen Aufführungen aufwarten kann, dann wird er bald nicht nur der Funktion, sondern auch der Qualität nach der repräsentative Oratorienchor der Landeshauptstadt sein.

Die Unterstützung durch den erfahrenen Theaterchor verstärkt das Volumen, hebt die rhythmischen Energien und hilft zu schärferer Profilierung aller Umrißlinien. Jetzt kann Georg C. Winkler unbeküm­mert aus dem Vollen schöpfen, und er ist der Mann, das auch zu tun. Der wesentlichen Vorarbeit Otto Rüders aber sei gerade an dieser Stelle gerne gedacht. Sie schafft die Voraussetzungen.

Entscheidend für die allgemein empfundene Wirkung der Messe in c-moll von Mozart war, daß von der äußeren Beherrschung der Noten vorgestoßen wurde zu dem Ausdruck in seiner ganzen Mannigfaltig­keit.

Wichtig auch, daß der von Mozart voll ausgearbeitete Orchester­part an der Gestaltung wesentlich teilnahm und nicht, wie so oft bei Oratorienaufführungen, als leidiges Uebel nichtssagend „mitgenom­men“ wurde. Das gilt keineswegs nur für die prachtvoll konzertieren­den Holzbläser. Diese haben es in ihrer solistischen Funktion leichter. Es gilt vielmehr für den gesamten Klangkörper.

Der Vorwurf der Uneinheitlichkeit, der dieser Messe so oft gemacht wird, scheint mir nicht gar so schwer zu wiegen. Gravierende Unter­schiede finden sich allerdings zwischen der konzertant-italienischen Haltung der Solisten und den gedrungenen Marschsäulen der Chöre. Diese strömen breit, sind polyphon genährt und tragen damit das hohe Zeichen des Barock an der Stirn. Welch eine Leistung für das kantabel-melodische Talent eines Mozart, daß er Stimmigkeit und Wucht, weiten Raum und Flächenkontraste im echten Sinne erreichen konnte! Wahrlich: „Genieflammen zuckten . . .“. Ein alter Dichtermusi­ker hatte recht, als er das von ´Mozart sagte.

Waren die Chöre also vorzüglich zu nennen, so hatte Winkler doch auch in der Besetzung der Solisten wiederum eine gute Hand. Hanna Ulrika Vassal ist in Kiel schon bekannt. Der Ansatz in der unteren Mittellage scheint ihr etwas Mühe zu machen, und die frei zu treffen­den, exponiert hohen Töne würden bei vorsichtiger Entwicklung die Schärfe verlieren. Davon abgesehen aber konnte sie nicht nur die leuchtenden Kopfregister, sondern auch großes technisches Können und differenziertes Singgefühl zeigen. Der freie Vortrag scheint uns hier ganz in der Komposition zu liegen.

Lisa Schwarzweller stellte sich in dem kontrapunktisch reich ver­schlungenen Duett „Domine Deus“ sicher und eindrucksvoll zur Seite und bewies auch sonst wieder ihr bewährtes Können. Neben so guten Frauenstimmen konnte sich der Tenor Wilhelm Kaiser nicht ganz behaupten. Die Tongebung neigt zur Flachheit, und der Ausdruck gewinnt nur selten die volle Wärme des Individuellen. Hans-Olaf Hudemann tritt nur einmal in Aktion. Da war er, der Grundmusika­lische, gut und verläßlich wie immer.

Bei den Solopartien hebt der Genius Mozart das Kunstvolle und Technische in den Bereich des Ausdrucks: Teils versetzt er die Men­schenstimme in die Region des Instrumentes, teils veredelt er das Instrument zu persönlichem Gesang. Mozart versagt auf keinem Gebiet.

Ob die Wiedergabe unseres Städtischen Musikdirektors im enge­ren Sinn eine „kirchliche“ war, darüber ließe sich streiten. Sein Tempe­rament neigt zum Extrem. Sein Forte ist oft ein Fortissimo, sein Allegro gern ein Presto. Die Wirkung geht daher oft ins Dramatisierende. Dennoch bleibt die hohe Qualität der Aufführung voll bestehen. Dr. H. St.

Zuletzt geändert am