Philharmonischer Chor Kiel

Der Nordschleswiger, 05.11.1963

Beethovens „Neunte“
aus symphonischem Geist

Festaufführung anläßlich des Deutschen Tages in Tondern

Als festlicher Auftakt zum Deutschen Tag 1963 wurde am Sonn­abend in der Tonderner Schweizerhalle Beethovens 9. Sinfonie durch das Nordmark-Sinfonieorchester aufgeführt. Die Wahl des Werkes — statt einer zeitlich ausgedehnteren Oper — erwies sich als äußerst vorteilhaft. Bei allen Bedenken, die man als „berufsmäßiger“ Musik­hörer gegen die allzu häufige Verwendung der „Neunten“ zu Weihe­zwecken haben muß, paßte sie zur Abwechslung einmal ausgezeich­net in den hier gegebenen Rahmen, der weniger von steifer Feier­lichkeit als von einer lebendigen Festlichkeit geprägt war. Heinrich Steiners musikantisch erfüllte, mehr den symphonischen als den Bekenntnischarakter betonende Interpretation hielt das Werk auf wohltuende Weise von allem Erbauungsdunst frei, so daß eine harmonische Ausgewogenheit von dem äußeren Drumherum und der musikalischen Wiedergabe gewährt war.

Gleichzeitig kamen die Flensburger Künstler auf diese Weise zu ei­ner ausgezeichneten Generalprobe, da sie die 9. Sinfonie demnächst auch in Flensburg in einem Abonnementskonzert aufführen werden. Gelegentlich spürte man bei den vereinigten Städtischen Chören von Flensburg und Kiel, zu denen sich außerdem Mitglieder des Theater­chores in Flensburg gesellten, noch eine leise Disharmonie, ein Fehlen der letzten Übereinstimmung und Präzision, aber insgesamt war es eine runde, zuverlässige Leistung, an der es nichts Grundsätzliches zu tadeln gab. Zudem verstand es Heinrich Steiner, Chor und Orche­ster in dem Finalsatz zu einem kraftvollen ausdrucksgesättigten Musizieren emporzureißen, das jedoch bei allem dithyrambischen Jubel niemals die Konturen und Strukturen der Komposition ver­schwimmen ließ.

Mit markigem, durchschlagskräftigen Baß führte Philipp Markgraf das gut abgestimmte Solistenquartett an; seine Stimme scheint in letzter Zeit an Beweglichkeit und gesanglicher Führung zu gewinnen. Robert Bennett (Tenor) blieb dem Marsch-Solo etwas an tenoralem Glanz schuldig, hielt sich aber im Ensemble auf dem Niveau. Edith Brodersens Sopran bezauberte durch lyrischen Liebreiz und Schmelz, Olivia Brewer standen in der Altpartie überraschend ausdrucksvolle und angenehm timbrierte Alttöne zur Verfügung.

Die Qualität einer Aufführung der Beethovenschen „Neunten“ erkennt man aber nicht allein am Schlußsatz, sondern auch an den drei vorhergehenden, rein instrumentalen Sätzen. Das populäre Chorfinale verstellt hier mitunter ein wenig die Proportionen, und es liegt zumeist an den Fähigkeiten des jeweiligen Dirigenten, diese Proportionen wieder zurechtzudrücken. Bei Heinrich Steiner wurde deutlich, daß auch die 9. Sinfonie Beethovens in erster Linie aus symphonischen Geist konzipiert und durchgeführt wurde und nicht allein vom Chorsatz her.

Steiner gab den drei ersten Sätzen das ihnen zustehende Ge­wicht. Etwas spröde lief es allerdings an, der erste Satz ist immer etwas schwierig in Fluß zu bringen, aber das Motto vivace besaß genau die Energie und rhythmische Stoßkraft, die diesem Satz sein atemberaubendes Furioso geben. Sehr schön weitatmig und erfühlt erklang das melodisch-strömende Adagio, ein Ruhepunkt inmitten der kämpferischen Entfesselung.

Alles in allem besaß die Aufführung, von kleineren Schwankungen abgesehen, die Qualität und das Gewicht, die Werk und äußerem Anlaß zukamen. Hinsichtlich der Schweizerhalle bleibt festzustellen, daß sie zwar für Konzerte nicht unbedingt ideal geeignet ist (zu gerin­ger Nachhall), aber im großen und ganzen ausreicht. Die Zuhörer, die sie bis auf den letzten Platz füllten, dankten den Mitwirkenden mit langem und herzlichem Beifall. G. Rohde

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