Philharmonischer Chor Kiel

Kieler Nachrichten, 15.11.1961

„Selig sind die Toten“

Das „Deutsche Requiem“ von Brahms im Kieler Stadttheater

Der Städtische Chor Kiel, der zuletzt innerhalb der diesjährigen Kieler Woche mit einem vielbeachteten Strawinsky-Orff-Abend hervor­getreten war, führte gemeinsam mit dem Städtischen Orchester im 3. Abonnementskonzert des Vereins der Musikfreunde das „Deutsche Requiem“ von Brahms auf. Die dramatischen Akzente dieses Werkes sind nur das notwendige Gegengewicht zu seiner vornehmlich lyri­schen Grundhaltung, und das „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben“ — Eingang und Beschluß des „Requiems“ — ist zugleich auch sein geistiger Mittelpunkt. Diese selige Gewißheit den Zuhörern musi­kalisch zu vermitteln, stellt den Klangkörper, der sich ihrer annimmt, immer wieder vor eine lohnende Aufgabe.

Der Städtische Chor war für sie stimmlich sehr gut disponiert. Der gewichtige Anteil der jugendlichen Sänger bewirkte eine angenehme Frische des Klanges; die einzelnen Gruppen waren in sich ausgewo­gen, vor allem die warme, satte und durch und durch homogene Farbe des Alts muß hier lobend erwähnt werden. Dem Tenor fehlte diese Einheitlichkeit ein wenig (wohl infolge der Bemühungen einiger „Solisten“). Aber sämtliche Mitglieder folgten dem Dirigenten, und alles in allem bildete der Chor sehr wohl ein Instrument, auf dem eine gültige Wiedergabe des „Requiems“ erreichbar war.

Daß sie hingegen in jeder Hinsicht gelungen wäre, muß verneint werden. Schon die Einstudierung (Fritz Janota) und Aufstellung schienen nicht immer mit der letztmöglichen Sorgfalt erfolgt zu sein. Dafür sprachen die häufig unpräzise Artikulation und die bisweilen ziemlich getrübte Intonation.

Die musikalische Leitung der Aufführung hatte Musikdirektor Niklaus Aeschbacher, der das Werk nicht ohne Pose dirigierte. Man kann kaum behaupten, daß er ihm in allen Teilen gerecht geworden wäre. Einerseits neigte er oft zu ermüdend schleppenden Zeitmaßen („Seid nun geduldig“, „Denn wir haben hier keine bleibende Statt“ und andere Stellen), andererseits hetzte er Fugen mit einem erbar­mungslosen, niemals modifizierten Tempo herunter („Der gerechten Seelen“), wobei es zu polyphonem Leerlauf kam, der gewiß nicht im Sinne von Brahms war. Immer wieder geschah es, daß die empfin­dungsreichsten Motive im Orchester hölzern und steif klangen, wie in der Einleitung des zweiten Satzes, und leider allzuoft entstand der Eindruck, hier werde ein Notentext wiedergegeben, nicht aber musi­ziert und ein Kunstwerk in seiner geistigen Gestalt erfaßt.

Leonore Kirschstein sang das innige „Ihr habt nun Traurigkeit“ mit makelloser Tongebung und einer beseligenden Schlichtheit, welche die Bedeutung der Textworte in ihrer ganzen Fülle und Tiefe aus­schöpfte. Gerhard Riek mühte sich auch sehr um seine Partie, konnte aber weder in der Höhe, in der er mehrfach detonierte, noch in der Baßregion befriedigen. —

Der Gesamteindruck dieser Aufführung mußte zwiespältig bleiben, nur in Einzelheiten fand der geistige Anspruch des Werkes wirklich Erfüllung, viele schöne Möglichkeiten blieben leider ungenutzt. - ün

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Siehe auch: P. D.

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